Automatisierungsvisionen und Vorstellungen von der „Volksgemeinschaft“
Die Technikgeschichte wird selten bemüht, um den Aufstieg der Nationalsozialisten und das Erstarken rechtsextremer Bewegungen in der Gegenwart zu erklären. Dieser Beitrag untersucht, in welchem Verhältnis Automatisierungsvisionen der Nazis zu ihrem Konzept der „Volksgemeinschaft“ standen.

Die damals sehr auflagenstarke Tageszeitung Frankfurter Rundschau war sich am 7. Juni 1982 sicher: „Die menschenleere Fabrik ist in zehn Jahren Wirklichkeit“. Ein so betitelter Artikel berichtete über eine Studie, die einen starken Anstieg des Einsatzes von Industrierobotern in kürzester Zeit erwartete. Über das reine zahlenmäßige Wachstum hinaus wurde auch eine neue Qualität der industriellen Automatisierung erwartet. An die Stelle der vor allem aus der Automobilindustrie bereits bekannten Roboterarme, die fürs Schweißen und ähnliche Arbeiten eingesetzt wurden, würden „Systeme“ von Robotern treten, die zu einer umfassenden Automatisierung – und damit zur „menschenleeren Fabrik“ führen würden. Im Zuge dessen befürchtete der Autor des Artikels einen enormen Verlust qualifizierter Arbeitsplätze.
Wie so oft in der Geschichte der Industrialisierung seit dem 19. Jahrhundert ging der technische Wandel nicht so schnell und so umfassend vonstatten wie erwartet (allerdings gab es bei einzelnen Technologien auch das Gegenteil: die Überraschung durch einen unerwarteten Umbruch). Dennoch markieren die frühen 1980er Jahre einen wichtigen Einschnitt, der in gewisser Hinsicht den Beginn unserer Gegenwart bedeutet: Die Digitalisierung war in der Arbeitswelt angekommen. Einzelne Branchen wie die Druckindustrie wurden heftig durchgeschüttelt – die Schriftsetzer, deren Fähigkeiten jahrzehntelang unverzichtbar waren, wurden nun in wenigen Jahren vom Computerschriftsatz ersetzt. Gleichzeitig wurden Computer, die in den beiden Jahrzehnten zuvor noch als Großrechner vor allem in der Verwaltung und in Banken eingesetzt worden waren, nun in vielen Büros in Form von PCs sichtbar. Auch die heute weitverbreitete Praxis des Homeoffice tauchte zum ersten Mal in etwas größerem Umfang unter dem Begriff der „Telearbeit“ auf. Das weckte insbesondere unter den Gewerkschaften die Sorge, dass die neuen Techniken die Vereinzelung der Arbeitsplätze stärken und den Zusammenhalt unter den Beschäftigten schwächen könnten.

Mit diesen miteinander verbundenen Erscheinungen gingen soziale Ängste einher: In den schlimmsten Befürchtungen war dies die Ersetzung der Menschen durch Maschinen. Häufiger waren aber Szenarien einer weiter ansteigenden Arbeitslosigkeit begleitet vom Rückgang qualifizierter Arbeitsplätze zugunsten reiner Hilfskrafttätigkeiten. In der Folge einer solchen Entwicklung würden gesellschaftliche Unterschiede rasant zunehmen. Es drohte also eine Zukunft, die von Automatisierung und dem Verlust gesellschaftlichen Zusammenhalts gekennzeichnet war. In ähnlicher Form wird die Herausforderung der digitalen Automatisierung bis in unsere Gegenwart diskutiert.
Automatisierungsvisionen im Nationalsozialismus
Ein tieferer Blick in die Vergangenheit und die historischen Diskussionen um die Automatisierung lohnt sich, um die politischen Probleme der Gegenwart einzuordnen. Jahrzehnte vor der einsetzenden Digitalisierung trug bereits ein anderer Zeitungsartikel
einen ähnlichen Titel: „Menschenleere Fabriken“. Der nationalsozialistische Völkische Beobachter berichtete am 27. Februar 1944 über diese Vision einer Automatisierung, deren „Verwirklichung“ unmittelbar bevorstehe. Der historische Kontext ist die – über ein Jahr nach der Niederlage von Stalingrad – sich deutlich abzeichnende deutsche Kriegsniederlage. Gleichzeitig klammerten sich die Nazis an eine Grundidee, die ihr Denken von Beginn an gekennzeichnet hatte: die Vorstellung der technischen Machbarkeit, der Lösung auch der größten Probleme durch die vermeintliche kulturelle Überlegenheit der deutschen Ingenieure. Der heute noch bekannteste Ausdruck davon ist der weitverbreitete deutsche Wunderwaffenglaube. Der Artikel über die „menschenleeren Fabriken“ ging allerdings über reine Durchhaltepropaganda hinaus: Der Autor Helmut Stein kam aus der Betriebspraxis, er war Betriebsdirektor beim Kölner Motorenhersteller Klöckner- Humboldt-Deutz. In dem Zeitungsartikel von 1944 scheinen zum einen Themen auf, über die seit Beginn der Industrialisierung diskutiert wurde, zum anderen aber auch spezifisch nationalsozialistische Ansätze zur vermeintlichen Lösung der sozialen Probleme, die mit der neuen Technik und der immer weiter fortgesetzten industriellen Arbeitsteilung einhergingen. Zunächst lässt sich das Forterzählen einer alten Idee in dem Artikel identifizieren: die Überzeugung, dass zwar mit den umfassenden technischen Veränderungen durch die Industrialisierung soziale Probleme entstanden seien, sich diese aber durch eine fortgesetzte Technisierung lösen ließen. Im Völkischen Beobachter hieß dies, dass die zunehmend inhaltsleere und monotone Arbeit in der rationalisierten Industrie nur in einem nächsten Schritt automatisiert werden müsse, damit die Arbeiter sich „als Beherrscher der Maschinenkräfte“ fühlen könnten. Diese Idee der technischen Lösung für technisch hervorgerufene Probleme wird in der Technikgeschichte als Glaube an einen „Technological Fix“ bezeichnet – für eine erfolgreiche Einlösung dieser Vorstellung lässt sich allerdings kaum ein historisches Beispiel finden. Auch in der Gegenwart findet sich ein ähnliches Denken in der Forderung nach einer „Technologieoffenheit“ als ultimativer Lösung großer Probleme.
Es ging dem Autor als Betriebsdirektor darum, „starke menschliche Bindungen“ zum Betrieb zu schaffen. Auch hier war die Problemstellung selbst eine alte: Seit dem Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert waren Klagen weit verbreitet, dass die neue Fabrikarbeit die tradierten sozialen Bindungen auflöste: Zuvor waren Familien- und Arbeitsleben räumlich nicht getrennt. Der Wohnraum lag zumeist im selben Gebäude wie der Arbeitsort, die Familie arbeitete unter der Vorherrschaft des Vaters zusammen. Erst die Fabrikarbeit brachte eine räumliche Trennung mit sich. Außerdem wirkte die Anpassung der menschlichen Tätigkeiten an den Maschinentakt und die damit einhergehende Arbeits- und Zeitdisziplin als Kulturschock für die neuen Fabrikarbeiter, die zuvor in der Landwirtschaft oder handwerklich gearbeitet hatten.

1944 war die Fabrikarbeit längst fest etabliert. Zwischenzeitlich hatte das Ausmaß der technischen und sozialen Veränderungen, vor allem zwischen den 1880er und den 1920er Jahren, rapide zugenommen. Während in den frühen Fabriken noch persönliche Beziehungen zum Vorgesetzten üblich waren, setzte sich nach und nach eine Bürokratisierung der Fabrikorganisation durch. Gleichzeitig waren der Rationalisierungs- und der Effizienzgedanke auf dem Siegeszug – dem Produktionsfluss war alles unterzuordnen. Technisch fand dies seinen größten Ausdruck im Fließband, das erstmals 1913 bei Ford in den USA eingesetzt worden war. In diesem historischen Kontext setzt der Artikel im Völkischen Beobachter ein. Zwar begrüßte der Autor den technischen Fortschritt lauthals, er sah aber auch die sozialen Gefahren durch „das Gespenst der Mechanisierung“: Die Arbeit drohe zu verflachen, die notwendige immer weitere Unterteilung der Arbeit in kleinste Arbeitstakte bringe es mit sich, dass die einstigen Facharbeiter nur noch Hilfsarbeiten ausführten, kaum „innerliche Befriedigung“ bei der Arbeit spürten und dort auch nicht ihre Persönlichkeit entfalten könnten.
Die „Leistungsgemeinschaft“
Als Lösung sah der Autor zwar mittelfristig die weitgehende Automatisierung, kurzfristig aber das Konzept einer „Leistungsgemeinschaft“ im Betrieb. Dieses Konzept war nicht nur für diesen einen Kölner Betrieb, sondern für den Nationalsozialismus an sich zentral. Es darf dabei nicht vergessen werden, dass eine wichtige Voraussetzung für solche Konzepte das brutale Vorgehen der Nazis nach der Machtübergabe 1933 war: Die Arbeiterbewegung, ihre Parteien und Gewerkschaften wurden zerschlagen, ihr traditioneller organisierter Zusammenhalt fiel also weg und sollte durch etwas Neues ersetzt werden. Formal trat an die Stelle der Gewerkschaften die Zwangsmitgliedschaft in der Deutschen Arbeitsfront. Deren Think Tank, das Arbeitswissenschaftliche Institut, gab bereits 1933 das Ziel aus, „den Menschen mit seiner Arbeit [zu] verbinden und mit ihr verwachsen zu lassen“. Die Technisierung der Arbeit sollte für die Erfüllung dieses Ziels keinesfalls zurückgenommen werden. Hitler selbst betonte in einer Rede 1938, dass nur die fortgesetzte Technisierung zu einer Lösung führen könne: „Es muss unser Ziel sein, den hochwertigen deutschen Arbeiter immer mehr von der primitiven Arbeit wegzuziehen und einer hochwertigen Tätigkeit zuzuführen. Die primitivsten Arbeiten wollen wir dann der durch hochwertige Arbeit geschaffenen Maschine überlassen.“

Es ist weitgehend bekannt, dass das NS-Konzept der Volksgemeinschaft bedeutete, Menschen nach rassistischen Kriterien brutal auszuschließen und ihre Arbeitskraft auszubeuten. Keinesfalls sollte aber nach diesen Ausschlüssen eine Gemeinschaft der gleichen „Volksgenossen“ entstehen. Vielmehr war die „Volksgemeinschaft“ als eine „Leistungsgemeinschaft“ mit internen Hierarchien konzipiert. So definierte die Deutsche Arbeitsfront 1940 die „wirkliche Volks- und Leistungsgemeinschaft“ als eine hierarchische Ordnung, in der jeder gemäß „seinen Fähigkeiten und erbbiologischen Voraussetzungen“ einzusetzen sei.
Konkret bedeutete das am vom Völkischen Beobachter 1944 angeführten Beispiel von Klöckner-Humboldt-Deutz, dass einige Facharbeiter von der nachträglichen Überprüfung ihrer Arbeitsleistung und der Festlegung des Akkords befreit wurden. Sie waren nun „Selbstkontrolleure“ und „Selbstkalkulatoren“ und sollten auf die Belegschaft motivierend wirken. Der Autor des Zeitungsartikels machte die Zielrichtung deutlich: „In einer solchen Leistungsgemeinschaft leben und von einer echten Führernatur immer aufs Neue starke Impulse bekommen – das schafft starke menschliche Bindungen zum Betrieb.“ Die gewerkschaftliche Selbstorganisation der Beschäftigten war zerschlagen. Nun sollten Formen einer hierarchischen Konkurrenz geschaffen und dann zu einer neuen völkischen Leistungsgemeinschaft zusammengeführt werden. Das heutige Erstarken rechtsextremer Bewegungen lässt sich gewiss nicht durch vorschnelle Gleichsetzungen unterschiedlicher historischer Perioden erklären. Allerdings ist auffällig, dass damals wie heute der Aufstieg der Rechtsextremisten auf eine Phase rapiden technologischen Wandels mit vielfältigen Herausforderungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt erfolgte. Einer der „Vordenker“ der AfD, der unter anderem von Björn Höcke hofierte Benedikt Kaiser, griff diesen Zusammenhang in einer Buchveröffentlichung 2020 explizit auf. Als rechte Antwort auf die Herausforderung durch Digitalisierung und Globalisierung forderte er eine Einhegung der „sozialen Marktwirtschaft im Zeichen einer solidarischen und patriotisch rückgebundenen Leistungsgemeinschaft“. Die Bezüge zum historischen Nationalsozialismus bestreitet er dabei keinesfalls. Vieles spricht dafür, dass wir aktuell nicht nur vor strukturell mit dem frühen 20. Jahrhundert vergleichbaren Problemen stehen. Auch die gleichen verkürzten politischen Lösungsangebote strahlen eine größere Attraktivität auf Teile der Bevölkerung aus.