Spra­che im Museum!

Das Pro­jekt “Deutsch erle­ben im Museum”

Ein Inter­view mit Judith Bau­ern­feind (Kura­to­rin für Out­reach) und Sig­rid Unter­stab (Lehr­kraft vhs)

Eine Gruppe von acht Personen lernt mithilfe von Lernkarten Deutsch, an einer Vitrine mit historischen Fotoobjektiven in einem Museum.
Foto: SDTB / Cle­mens Kirchner

Könnt ihr das Pro­jekt „Deutsch erle­ben im Muse­um“ kurz beschreiben?

JB: Beim Pro­gramm „Deutsch erle­ben im Muse­um“ erkun­den Men­schen, die Deutsch ler­nen, die bei­den Aus­stel­lun­gen Foto- und Nach­rich­ten­tech­nik. Dort kön­nen die Besu­chen­den eigen­stän­dig mit Lern­kar­ten-Sets arbei­ten, ihr Voka­bu­lar fes­ti­gen, über die Objek­te in den Dia­log mit­ein­an­der tre­ten und die Aus­stel­lung ken­nen­ler­nen. Das Mate­ri­al wur­de bereits 2017 von Jas­mi­ne Ghandt­chi, Lehr­kraft für Deutsch als Fremd­spra­che, und Sven­ja Gau­be, Lei­tung der Abtei­lung Bil­dung und Ver­mitt­lung, entwickelt.

Anhand der Muse­ums­ob­jek­te und The­men, die in den jewei­li­gen Berei­chen behan­delt wer­den, erwei­tern die Ler­nen­den ihren Wort­schatz und eig­nen sich so zeit­gleich den öffent­li­chen Raum an. Sie kom­men also mit einem kon­kre­ten Grund ins Muse­um und neh­men hof­fent­lich ein gutes Gefühl mit nach Hause.

Die Besu­chen­den kön­nen in klei­nen, pri­va­ten Grup­pen kom­men oder dem Muse­um im Rah­men von „Eras­mus“, einem Sprach­ca­fé, einen Besuch abstat­ten. Oder sie kom­men als insti­tu­tio­na­li­sier­ter Kurs für Deutsch als Fremd- bzw. Zweit­spra­che zu uns. Die­ses Ange­bot steht allen inter­es­sier­ten Per­so­nen kos­ten­frei offen. Nur das nor­ma­le Muse­ums­ti­cket muss dafür erwor­ben werden.

Ein beson­de­res Koope­ra­ti­ons­pro­jekt stellt unse­re Zusam­men­ar­beit mit dem Ser­vice­zen­trum der Ber­li­ner Volks­hoch­schu­len (vhs) dar: Hier haben wir ein noch umfang­rei­che­res Paket gestrickt, bei dem vhs-Lehr­kräf­te von uns in Fort­bil­dun­gen mit dem Lern­kar­ten-Mate­ri­al geschult wer­den. Beim kos­ten­frei­en Muse­ums­be­such erhal­ten die Lehr­kräf­te eine Tasche, die sie mit wei­te­ren Objek­ten und Ver­tie­fungs­an­ge­bo­ten ausstattet.

Was ist das Ziel des Projekts?

JB: Ziel des Pro­jekts ist es, das Muse­um als einen Ort vor­zu­stel­len, an dem ich mich will­kom­men füh­le. An dem ich auf Men­schen tref­fe, in dem ich auf Objek­te und auf für mich span­nen­de The­men sto­ße. Wo mir das Gefühl ver­mit­telt wird, hier kann und darf ich sein – hier habe ich einen Mehr­wert. Sei es eine gute Zeit oder etwas zu Ler­nen oder bes­ten­falls eine Kom­bi­na­ti­on aus all dem.

Für das Muse­um ist es das Ziel, sich für neue, diver­se Ziel­grup­pen zu öff­nen und so Men­schen den Weg zu ebnen, die aus viel­fäl­ti­gen Grün­den bis­her noch nicht zu uns gekom­men sind. Bar­rie­ren sol­len abge­baut und gebro­chen wer­den Sprach­bar­rie­ren oder eben soge­nann­te „unsicht­ba­re“ Bar­rie­ren. Glau­bens­sät­ze wie „ich gehö­re da nicht hin, dort gibt es nichts für mich“ fußen lei­der oft auf rea­len, gesell­schaft­li­chen und indi­vi­du­el­len Erfah­run­gen sowie der Insti­tu­ti­ons­ge­schich­te von Muse­en. Sie sind viel­schich­tig, sie zu adres­sie­ren und auf­zu­bre­chen ist ein län­ge­rer Pro­zess.

Dann gibt es auch noch eine wei­te­re Ziel­set­zung – auch aus einem Out­reach-Gedan­ken her­aus: Das Muse­um will sich struk­tu­rell mit ande­ren Insti­tu­tio­nen ver­net­zen. In die­sem Fall ganz kon­kret mit der vhs. Durch Part­ner­schaf­ten mit ande­ren Insti­tu­tio­nen kön­nen wir neue Ziel­grup­pen leich­ter errei­chen, weil das Ange­bot der Partner*innen schon auf ganz bestimm­te Bedürf­nis­se zuge­schnit­ten ist. Die Über­le­gung ist dann, wie wir uns ver­stär­ken und gegen­sei­tig unter­stüt­zen kön­nen. Wie kön­nen wir und vor allem die Ziel­grup­pe von der jewei­li­gen Arbeit pro­fi­tie­ren? Natür­lich rich­tet sich das Haupt­ziel aber auf das indi­vi­du­el­le Erleb­nis der Men­schen, die die­ses Pro­gramm nut­zen. Wir wol­len eine bestär­ken­de Erfah­rung ermög­li­chen! Einer­seits soll ein beson­de­rer Umgang mit Muse­ums­ob­jek­ten gefun­den wer­den: Die Besu­chen­den nähern sich den Objek­ten und bekom­men das Gefühl, Ver­bin­dun­gen zum eige­nen All­tag und der eige­nen Lebens­rea­li­tät her­stel­len zu kön­nen. Ande­rer­seits kön­nen sie ihren Sprach­er­werb aus­bau­en, indem sie die Schul­si­tua­ti­on im Klas­sen­raum ver­las­sen und dabei mer­ken, dass das Gelern­te in einem ande­ren Kon­text ange­wen­det wer­den kann.

Lern-Material "Deutsch erleben im Museum" mit Aufgabenblättern zu Fotografie und historischen Kameras auf einem Ausstellungstisch.
Die Mate­ria­li­en sind durch­dacht und dar­auf aus­ge­rich­tet, dass die Teil­neh­men­den auch allei­ne durch das Muse­um gehen könn­ten. Foto: SDTB / Cle­mens Kirchner

War­um liegt euch das Pro­jekt so am Herzen?

SU: Ich lie­be das gan­ze Kon­zept und bin auch von den Mate­ria­li­en ganz begeis­tert! Ein­fach, weil sie rich­tig gut sind. Die Mate­ria­li­en sind durch­dacht und dar­auf aus­ge­rich­tet, dass die Teil­neh­men­den auch allei­ne durch das Muse­um gehen könn­ten. Bei den Fra­gen auf den Mate­ria­li­en gibt es kein rich­tig oder falsch oder die kor­rek­te Jah­res­zahl. Es geht eher um offe­ne Ant­wor­ten. Wie wirkt das auf dich? Was emp­fin­dest du dabei? Wor­an erin­nert dich das? Das bringt sehr schö­ne Gesprä­che zwi­schen den Ler­nen­den hervor.

Wenn man als Bei­spiel die Foto-Aus­stel­lung nimmt: Dort geht es zum Teil um pri­va­te Urlaubs­fo­to­gra­fie. Natür­lich kom­men da Erin­ne­run­gen an die eige­nen Urlaubs­fo­tos hoch, aus den unter­schied­lichs­ten Län­dern. Das Muse­um lie­fert den Input und die Kar­ten fokus­sie­ren dar­auf, sich dar­über zu verständigen.

Die Mate­ria­li­en ste­hen zum Down­load auf der Web­site bereit. So kann auch bereits vor­her im Klas­sen­raum oder im Sprach­ca­fé bespro­chen wer­den, was da im Muse­um auf einen zukommt. In den Grup­pen sind zum Teil Per­so­nen, die noch nie im Muse­um waren, die in ihrem Leben bis­her ande­re Prio­ri­tä­ten hat­ten. Sie wis­sen nicht auto­ma­tisch, dass das Muse­um oft mit ganz eige­nen Ver­hal­tens­re­geln ein­her­geht. Und natür­lich machen es dann sol­che Infos bereits im Vor­feld leichter.

JB: Ich ken­ne bis­lang kein ande­res Muse­um in Ber­lin, das expli­zit auch sol­che Mate­ria­li­en für Lehr­kräf­te von Deutsch- und Inte­gra­ti­ons­kur­sen anbie­tet. Ich bin mehr­mals mit den Grup­pen der vhs-Koope­ra­ti­on durch die Aus­stel­lung gegan­gen. Selbst zu erle­ben, wie toll die Mate­ria­li­en von den Lehr­kräf­ten auf­ge­nom­men wer­den, das ist aus Muse­ums­sicht unfass­bar schön zu sehen. Es gibt dadurch eine gro­ße Erleich­te­rung dar­über, dass wir die Vor­ar­beit geleis­tet haben. Wir woll­ten so unter­stüt­zend wie mög­lich sein. Weil wir auch wis­sen, dass Lehr­kräf­te in Sprach­kur­sen wenig Zeit und vie­le Din­ge zu tun haben. Eine Exkur­si­on kann einen gro­ßen Mehr­auf­wand bedeu­ten. Und wenn das in der Kon­se­quenz heißt, dass sie nicht statt­fin­det, wäre das unglaub­lich scha­de. Durch die Ent­las­tung ent­ste­hen Mehr­fach­be­su­che. Es ent­steht eine gewis­se Selbst­ver­ständ­lich­keit, dass das Muse­um ein Raum ist, in dem die Ler­nen­den sich bewe­gen kön­nen. Per­spek­ti­visch hof­fe ich, dass wir ähn­li­che Koope­ra­tio­nen, wie die mit der vhs, auch mit ande­ren Insti­tu­tio­nen ein­ge­hen können.

Ein wei­te­rer Mehr­wert ist auch, dass alle Inter­es­sier­ten sich an der Kas­se das Lern­kar­ten-Set – sozu­sa­gen die Basis-Aus­stat­tung – aus­lei­hen oder das Mate­ri­al down­loa­den kön­nen, um die Aus­stel­lung eigen­stän­dig zu erkunden.

Was konn­tet ihr von dem Pro­jekt lernen?

SU: Ich habe in den Aus­stel­lun­gen ganz viel gelernt, über opti­sche Tele­gra­fie zum Bei­spiel. In einer Fort­bil­dung war eine Muse­ums­päd­ago­gin dabei, die ihren eige­nen Blick­win­kel mit­ge­bracht hat. Das war wirk­lich span­nend zu erken­nen, wie unter­schied­lich die Sicht von Museumspädagog*innen und Lehr­kräf­ten sein kann.

Beim Arbei­ten mit den Mate­ria­li­en kom­men mir immer neue Ideen, wie man Din­ge auf­ar­bei­ten und ein­set­zen kann. Auch in ande­ren Muse­en habe ich seit der Arbeit mit ‚Deutsch erle­ben‘ vie­le Ein­fäl­le, was auch dort gute Zugän­ge sein könn­ten. Ich ent­wick­le mich mit jedem Muse­ums­be­such wei­ter. Tech­nisch, didak­tisch, museumspädagogisch.

JB: Natür­lich ist das Pro­jekt ein Gewinn an inter­kul­tu­rel­ler Kom­pe­tenz und ich durf­te schon vie­le groß­ar­ti­ge Men­schen ken­nen­ler­nen. Ich habe durch die Koope­ra­ti­on mit dem Ser­vice­zen­trum der vhs außer­dem ein ganz ande­res Ver­ständ­nis für Berei­che ent­wi­ckeln dür­fen, die mir qua Berufs­feld nicht zugäng­lich sind. Dar­über, wie Deutsch­lern­an­ge­bo­te in unse­rer Gesell­schaft struk­tu­riert sind. Wo haben Men­schen die Mög­lich­kei­ten dazu? Wel­che Kurs­struk­tu­ren gibt es? Wel­che admi­nis­tra­ti­ven Pro­zes­se lie­gen dahin­ter? Was sind die Her­aus­for­de­run­gen und wel­che Ein­schrän­kun­gen und Mög­lich­kei­ten gibt es auch auf der poli­ti­schen Ebe­ne? Das ist zum Teil ein Buch mit sie­ben Siegeln.

Durch den Kon­takt mit den Lehr­kräf­ten habe ich eini­ges gelernt. Vor allem, wie ver­schie­de­ne Bil­dungs­be­rei­che mit unter­schied­li­chen Schwer­punk­ten zusam­men­ar­bei­ten und von­ein­an­der pro­fi­tie­ren können.


Lei­der ist die Foto­tech­nik-Aus­stel­lung bis auf Wei­te­res wegen Umbau­ar­bei­ten geschlos­sen. Die Aus­stel­lung Nach­rich­ten­tech­nik kann aber ger­ne besucht werden!

Für „Deutsch erle­ben im Muse­um“ braucht ihr ein Muse­ums­ti­cket (Online-Ticket oder an der Kas­se im Muse­um) und das Lern­kar­ten-Set für den Ausstellungsbereich.


Das Inter­view führ­te Anna Jemi­ma Schulz.