Müssen wir immer neu bauen?
Wie können anders gedachte architektonische Konzepte zum Erreichen von Klimaschutzzielen beitragen? Und was können öffentliche Institutionen und Museen zum Diskurs über Stadträume dazu beisteuern? Über neue Ansätze zum Wandel der Architektur und wie Landschaft und Natur ein immer wichtigerer Teil der Stadtgestalt werden.

Kirchberger & Wiegner Rohde und Morris+Company mit Haptic Architects und Hutchinson & Partners. Kirchberger & Wiegner Rohnde / Visualisierung Lisa Woebcken Fraser
These: Die Zukunft des Bauens ist nicht zu bauen
In Schottland lässt sich Wein anbauen, die Brände in Südeuropa und anderen Teilen der Welt breiten sich jedes Jahr mehr aus. Der Klimawandel hat auch hierzulande zur Folge, dass Städte immer heißer werden. Im Sommer führt Rekordhitze zu einem erhöhten Gesundheitsrisiko, gerade für ältere Menschen. Viele Städte Deutschlands weisen einen sehr hohen Versiegelungsgrad auf – München 46,6 Prozent, Hannover 42,6 Prozent und Berlin 38,9 Prozent. Je mehr bebaut ist, desto weniger Wasser versickert im Boden. Und das führt zu häufigen lokalen Überflutungen und Stauwasser.1
Dabei kommen Fragen auf: Wie sollen unsere Städte in Zukunft aussehen? Und – wenn das Bauschaffen 35-40 Prozent aller klimaschädlichen Emissionen produziert2 – wie kann Architektur und Stadtplanung dazu beitragen, Städte für die Zukunft lebensfähig zu machen? Das Bundesbauministerium veröffentlichte im Juli 2024 eine Hitzeschutzstrategie, die vorsieht, Flüsse von Beton zu befreien oder betonierte Plätze zu entsiegeln und zu begrünen.3 Unter Architekt:innen werden bereits Forderungen laut, das Bauen sogar ganz einzustellen.
Es liegt auf der Hand: Die Zukunft des Bauens liegt nicht im Weiterbauen im klassischen Sinne, sondern im „Nichtbauen“, also in der Umnutzung und im Umbau, der Entsiegelung von Flächen und dem Bauen mit nachhaltigen Materialien.
Architektur im Wandel

1996 wurde das französische Architekturbüro Lacaton & Vassal für die Umgestaltung des Place Léon Aucocin in Bordeaux beauftragt. Laut den Architekt:innen existierte aber bereits Qualität, Charme und Leben. Sie schlugen vor, nichts weiter zu tun, als einige einfache und schnelle Instandhaltungsarbeiten auszuführen, wie das Auswechseln des Kieses, häufigere Platzreinigung, Baumpflege oder geringfügige Änderung der Verkehrsführung – alles, um die Nutzung des Platzes zu verbessern und die Anwohner:innen zufrieden zu stellen.4 Manchmal ist das Vorhandene schon gut so, wie es ist.
Aber Neubau stoppen? Bei immer weiter steigendem Flächenbedarf und Druck auf den Wohnungsmarkt? Geht das überhaupt? Architektur befindet sich seit Beginn der Menschheitsgeschichte im Wandel und war bisher immer in der Lage, auf gesellschaftliche, soziale oder klimatische Veränderungen zu reagieren. Ansätze zu nachhaltiger Architektur und Konzepte wie „reduce, reuse, recycle“ sind längst Teil des Architekturdiskurses. In seinen „17 Thesen zur Nachhaltigkeit“ proklamiert der Architekt, Bauingenieur und Mitbegründer der „Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen“ Werner Sobek, mit weniger und wiederverwendbaren Baustoffen zu bauen. Unser Bauschaffen sei für ganze 60 Prozent des weltweiten Ressourcenverbrauchs verantwortlich. Daher solle Stahlbeton, dessen Herstellung enorm emissionsreich ist, nur noch da eingesetzt werden, wo seine Eigenschaften unentbehrlich sind.5 „Nachhaltiges Bauen“ beinhalte auch, einen energiesparenden Betrieb des Gebäudes sowie die sogenannte „graue Energie“, die den Energie- und Materialbedarf für die Errichtung und den Rückbau von Gebäuden umfasst, in den Blick zu nehmen.
In der Realität werden Bestandsgebäude jedoch immer noch schneller abgerissen als umgenutzt – selbst funktionsfähige, identitätsstiftende Gebäude mit baukulturellem Erbe. Gegen den Abriss des Hochhauses An der Urania 4-10 in Berlin beispielsweise gab es eine Protest-Initiative, der sich Menschen aus den Bereichen Architektur, Stadtplanung, Landschaftsarchitektur sowie Soziologie und Kunst anschlossen. Zusätzlich zu einer Petition wurde in einer Machbarkeitsstudie dargelegt, wie das Gebäude erhalten, saniert und umgebaut werden kann.6 Der weitreichende Einsatz für den Erhalt und die Proteste gegen den Abriss blieben am Ende trotzdem vergeblich.

Um ein vollständiges Umdenken und flächendeckende Veränderungen zu erreichen, muss die Rolle von Architektur überdacht werden. Ihre eigentliche Aufgabe ist es, in jeder Situation und an jedem Ort spezifische räumliche Antworten auf die Bedürfnisse der Menschen zu finden – sofern es überhaupt einer Veränderung bedarf.

Denn Architektur kann auch bedeuten, Bestehendes umzunutzen und Orte neuzudenken – und damit an die aktuellen Bedürfnisse anzupassen. Dies wurde vorbildlich umgesetzt beim Umbau des Tour Bois-le-Prêtre, eines 17-geschossigen Wohnhochhauses aus den 1950er Jahren bei Paris. Der graue Block war bereits dem Abriss geweiht, jedoch schafften es die Architekt:innen Lacaton & Vassal, ihn in ein attraktives Wohngebäude zu verwandeln – und dabei die Bewohner:innen in den Umbauprozess miteinzubeziehen. Der Wohnraum wurde durch Balkone erweitert und der Blick aus den neuen Panoramafenstern deutlich großzügiger.7
Der Beitrag unseres Architekturbüros im Wettbewerbsverfahren für ein neues Eingangsgebäude des Deutschen Technikmuseums schlug vor, anstatt eines neuen Gebäudes einen Wald als Museumsfoyer zu pflanzen. Anders als die anderen eingereichten Entwürfe rückte bei unserem Konzept die Architektur im klassischen Sinne in den Hintergrund und die Natur wurde zur Hauptakteurin. Zunächst sollte der gesamte Platz vor dem Museum entsiegelt und eine neue Vegetationstragschicht etabliert werden. Der Wald bietet ein einzigartiges Biotop in der Stadt und sorgt für ein kühles und feuchtes Mikroklima, auch in heißen Sommern. Nur da, wo Gebäude absolut nötig waren, wurden hier und da kleine Pavillons mit geringem CO₂-Fußabdruck gedacht. Übrige Nutzungen wurden in vorhandenen Flächenressourcen im Bestandsgebäude untergebracht. Als neue, zentrale Verteilung für alle Museumsbereiche sollten die Pavillons vor allem Schutz vor Regen und Sonne, Wind und Schnee bieten. Sie sind nach dem Prinzip des „Low-Tech“ entworfen. Dabei wird der Einsatz von Technik stark reduziert, beispielsweise auf Klimaanlagen oder mechanische Belüftung verzichtet. „Die Gebäudehülle […] schützt im Sommer vor Überhitzung und im Winter vor dem Auskühlen.8

Benötigt es immer einen dezidierten Innenraum als Museumsfoyer? Der Vorschlag, einen Wald als Foyer für das Deutsche Technikmuseum zu pflanzen, stellt herrschende Vorstellungen des klimatischen Komforts bewusst in Frage – und setzt eine gewisse Anpassung von Verhaltensweisen voraus. Gewohnheiten lassen sich jedoch schnell etablieren. Spätestens mit den gestiegenen Energiekosten seit dem Ukraine-Krieg hinterfragten viele Verbraucher:innen mit einem Mal die eigenen Komfortzonen. Die Heizungen wurden heruntergedreht und wärmere Kleidung wurde angezogen.
Architektur ist auch ohne hohen Technisierungsgrad in der Lage, zwischen unterschiedlichen klimatischen Anforderungen zu differenzieren und auf verschiedene Komfortzonen einzugehen: Etwa indem Bereiche mit angenehmem Außenklima (kühle, schattige Bereiche im Sommer / windgeschützte, besonnte Bereiche im Winter), Bereiche mit Witterungsschutz und klimatisch abtrennbare Bereiche geschaffen werden, die einen passiven Wärmegewinn ermöglichen. Beheizte oder gekühlte Bereiche können so gewählt werden, dass der Energieverbrauch minimiert wird.
Da in der Bauindustrie immer noch das Prinzip Abriss und Neubau dominiert, sollten die neuen Aufgaben der Architektur sein: Der Umbau und das radikale Umnutzen des Bestehenden sowie die Priorisierung der Natur vor Gebäuden und die Umgestaltung des öffentlichen Raumes durch Entsiegelung. Jegliche bauliche Intervention darf nur minimalen Raum einnehmen und minimale Ressourcen verbrauchen.
Die Rolle der Museen und Partizipation im öffentlichen Raum
Öffentlichen Institutionen wie Museen kommt in Zeiten des Wandels eine Schlüsselrolle in der Vermittlung von Nachhaltigkeit zu. Sie haben eine gesellschaftliche Vorbildfunktion, denn ihr nachhaltiges Handeln – indem sie sich beispielsweise für eine nachhaltige Bauweise entscheiden – wird für viele Menschen unterschiedlichen Alters sichtbar. Durch „Werkzeuge“ wie Ausstellungen, Bildungsprogramme sowie Öffentlichkeitsarbeit können Museen entscheidend bei der Vermittlung gesellschaftlicher Themen wie Nachhaltigkeit und Nachhaltiges Bauen sowie wirksamer Maßnahmen gegen den Klimawandel sein.

Internationale Ausstellungen wie die Biennale in Venedig oder die documenta in Kassel waren schon immer ein Seismograf gesellschaftlichen Wandels und eine Plattform für zeitgenössische Themen in Kunst und Architektur. Die Biennale findet jedes zweite Jahr statt und zeigt die neuesten Entwicklungen und aktuellen Themen, welche Kunst und Architektur – jedes Mal im Wechsel – global betreffen. Unter dem Motto „Laboratory of the Future“ wurden 2023 auf der Architekturbiennale die Themen Dekolonisation und Dekarbonisierung behandelt.
Und nicht nur auf inhaltlicher Ebene in Form von Wissensvermittlung, auch auf prozessualer Ebene sind Ausstellungsorte wichtige Plattformen der Öffentlichkeit, indem sie Partizipationsmöglichkeiten für Besucher:innen und Anwohner:innen schaffen. Im Beitrag zum Wettbewerb für das Deutsche Technikmuseum hatten wir das „Waldlabor“ als Raum für Pflanzaktionen, Baumpartnerschaften und Forschungsprojekte vorgeschlagen, in dem das Denken in langfristigen Kreisläufen gefördert werden kann. Auch die Biennale in Venedig oder die documenta schaffen durch ihre räumliche Ausdehnung in der Stadt die Möglichkeit für Austausch und Kooperation.
Und man darf nicht vergessen: Museen sind immer auch Teil von Kooperations-Netzwerken. Durch die Verknüpfung kultureller Akteure untereinander können sie zu Multiplikatoren von nachhaltigem Denken und Handeln werden.
Als öffentliche, nicht kommerzielle Orte sind Museen Teil der Stadt. Durch ihre Außenwirkung und die Verwobenheit mit dem städtischen Gefüge und anderen kulturellen Institutionen sind sie in der Lage, zur Keimzelle für gesellschaftliche Entwicklungen und die Zukunft unserer Städte zu werden und diese nachhaltig zu verbessern.
Fazit
Manchmal muss man als Architekt:in ein Stück zurücktreten, um zu verstehen, was die richtige Antwort für einen Ort ist. Manchmal bedeutet das auch, gegen den Strom zu schwimmen, gegen das „Weiter-so-wie-bisher“ Vorschläge zu machen. Oder auch einfach die richtigen Fragen zu stellen wie: Warum muss es eigentlich ein neues Haus sein? Es bleibt die Notwendigkeit, das Bauen zu verändern hin zu einem ganzheitlichen Prozess und ein breiteres Nachdenken über den Bestand und seine Potentiale zu fördern. Unser Projekt des Waldfoyers war vielleicht noch zu früh, dafür aber am richtigen Ort. Denn der öffentliche Bausektor ist derjenige, in dem der Veränderungsprozess beginnen muss. Die öffentliche Hand sollte als Vorbild vorangehen und die mit Steuergeldern finanzierten Bauprojekte zu Leuchtturmprojekten machen.
- https://www.gdv.de/gdv/medien/medieninformationen/muenchen-ist-die-am-staerksten-versiegelte-grossstadt-36418 [8.8.2024] ↩︎
- https://www.wernersobek.com/de/themen/17_thesen/ [8.8.2024] ↩︎
- https://www.bmwsb.bund.de/SharedDocs/downloads/Webs/BMWSB/DE/publikationen/stadtentwicklung/hitzeschutzstrategie.pdf [8.8.2024] ↩︎
- https://www.lacatonvassal.com/index.php?idp=37 [8.8.2024] ↩︎
- https://www.wernersobek.com/de/themen/17_thesen/ [8.8.2024] ↩︎
- https://andersurania.org/petition [8.8.2024] ↩︎
- https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Umbau_in_Paris_von_Druot_und_Lacaton_Vassal_2460693.html [8.8.2024] ↩︎
- https://www.energieinstitut.at/unternehmen/bauen-und-sanieren-fuer-profis/low-tech-gebaeude/was-ist-ein-low-tech-gebaeude [8.8.2024] ↩︎