Der Drit­te Ort

Das Muse­um im Wandel

Muse­en ent­wi­ckeln sich zuneh­mend zu „Drit­ten Orten“ – öffent­li­chen Räu­men der Begeg­nung und des Aus­tauschs. Dabei spielt die Archi­tek­tur eine ent­schei­den­de Rol­le: Inno­va­ti­ve Bau­ten öff­nen sich zur Stadt und laden Besu­che­rin­nen und Besu­cher ein, Räu­me jen­seits der klas­si­schen Aus­stel­lung zu erkun­den. Die­se Muse­en schaf­fen ein­la­den­de, mul­ti­funk­tio­na­le Orte, die weit mehr als nur Aus­stel­lungs­flä­chen bieten.

Besu­cher­boom

„Ita­li­en hat mehr Muse­ums­be­su­cher als Ein­woh­ner.“ Das mel­de­te Anfang Juli 2024 der Deutsch­land­funk Kul­tur und nann­te die statt­li­che Anzahl von knapp 58 Mil­lio­nen Aus­stel­lungs­wil­li­gen bezo­gen auf die staat­li­chen Muse­en und archäo­lo­gi­schen Stät­ten im Jahr 2023. Ganz so eupho­risch lesen sich die Zah­len aus Deutsch­land mit sei­nen rund 7000 Häu­sern nicht. Aber für 2022 spricht das Insti­tut für Muse­ums­for­schung der Staat­li­chen Muse­en zu Ber­lin – Stif­tung Preu­ßi­scher Kul­tur­be­sitz von einer Ver­dop­pe­lung der Muse­ums­be­su­che. Die Direk­to­rin des Insti­tuts, Patri­cia Rahe­mi­pour, stellt bei die­ser Erhe­bung vom Dezem­ber 2023 fest, dass sich die Pan­de­mie-Aus­wir­kun­gen auf den Muse­ums­sek­tor ins­ge­samt abge­schwächt haben, abhän­gig von der Lage (Stadt oder Land), dem Trä­ger (öffent­lich oder pri­vat) und der Spar­te. Außer­dem för­dert die Stu­die eine stär­ke­re Indi­vi­dua­li­sie­rung der Häu­ser zuta­ge; es ist sogar von Hyper­in­di­vi­dua­li­sie­rung die Rede. Es wer­den kon­ti­nu­ier­li­che Stu­di­en ange­regt, um die Moti­va­ti­on von Besu­che­rin­nen und Besu­chern und auch die Erfolgs­fak­to­ren von Muse­en zu untersuchen.

Das Muse­um als Exponat

Ganz neu sind die­se Gedan­ken nicht. Aber eine tref­fen­de Zusam­men­fas­sung des­sen, was Muse­ums­schaf­fen­de seit über vier Jahr­zehn­ten umtreibt: Öff­nung für das brei­te Publi­kum, Attrak­ti­vi­tät über das klas­si­sche Muse­ums­pro­gramm – bewah­ren, sam­meln, doku­men­tie­ren – hin­aus. „Kul­tur für Alle“ war der Leit­satz des Kul­tur­de­zer­nen­ten Hil­mar Hof­mann, als er in den 1980er Jah­ren dar­an ging, das Frank­fur­ter Muse­ums­ufer zu ent­wi­ckeln. Es war die Zeit der Post­mo­der­ne, in der spek­ta­ku­lä­re Muse­ums­neu­bau­ten ent­stan­den: Das Muse­um Abtei­berg (1982) von Hans Hol­l­ein in Mön­chen­glad­bach, James Stir­lings Stutt­gar­ter Staats­ga­le­rie (1984), in Frank­furt am Main dann das Deut­sche Archi­tek­tur­mu­se­um DAM von Oswald Mathi­as Ungers (1984) und das dama­li­ge Muse­um für Kunst­hand­werk (Richard Mei­er, 1985). Ein Muse­um zu bau­en, galt vie­len Pla­nen­den als Königs­dis­zi­plin. Das sich exzep­tio­nel­le Muse­ums­bau­ten auch für das Stadt­mar­ke­ting instru­men­ta­li­sie­ren las­sen, wur­de spä­tes­tens mit Frank Gehrys schil­lern­der Muse­ums­di­va in Bil­bao (1997) als „Bil­bao-Effekt“ zum fes­ten Begriff.

Der Raum als Mani­fest oder Ausstellungsfläche?

Was auch zu der Fra­ge führt: Wie­weit ist das Haus, ist der Raum selbst Expo­nat? Die Mei­nun­gen dazu gehen aus­ein­an­der. Wäh­rend die einen den neu­tra­len White Cube prä­fe­rie­ren, plä­die­ren die ande­ren dafür, jeden Raum im Zusam­men­klang mit einer Aus­stel­lung neu und effekt­voll zu insze­nie­ren. Nicht immer neh­men Aus­stel­lungs­räu­me Rück­sicht auf ihre Funk­ti­on, näm­lich Inhal­ten zu die­nen. So im Deut­schen Archi­tek­tur­mu­se­um DAM, wo sich Gene­ra­tio­nen an Kura­to­rin­nen und Kura­to­ren an dem stren­gen Qua­drat­ras­ter von Archi­tekt Ungers abar­bei­ten. Er implan­tier­te ein Haus in eine denk­mal­ge­schütz­te Vil­la und behan­del­te es eher als skulp­tu­ra­les Mani­fest denn als Aus­stel­lungs­flä­che. Das „Haus-im-Haus“ erstreckt sich vom Unter­ge­schoss bis in den drit­ten Stock und endet dort in einer Mischung aus Urhüt­te und Tem­pel. Tat­säch­lich suchen bis heu­te (Architektur-)Touristen im DAM des­halb ziel­stre­big zunächst das obers­te Geschoss auf. Dann doch lie­ber der neu­tra­le Wei­ße Wür­fel oder die schüt­zen­de Black Box?

Raus aus der Nische

„Das Muse­um ist ein Ort des Dis­kur­ses.“ Die­ser Satz ver­deut­licht den aber­ma­li­gen Wan­del in den ver­gan­ge­nen Jah­ren. Er stammt von Tris­tan Kobler, einer der Part­ner des Archi­tek­tur­bü­ros Hol­zer Kobler mit Haupt­sitz Zürich. Das Büro ist, wie auch das in Stutt­gart ansäs­si­ge Ate­lier Brück­ner, auf Aus­stel­lungs­ge­stal­tung spe­zia­li­siert. Des­sen Lei­te­rin Shirin Fran­goul-Brück­ner bezeich­net das Muse­um als Drit­ten Ort, einen mög­lichst allen zugäng­li­chen Ort der Infor­ma­ti­on und des Gesprächs. Muse­en und Aus­stel­lungs­häu­ser haben die­se Bedeu­tung erkannt und tre­ten im Rah­men ihrer „Neu­erfin­dung“ zuneh­mend nach außen, um dis­zi­plin­über­grei­fend zu arbei­ten. Wie eng die kura­to­ri­sche und gestal­te­ri­sche Arbeit ver­knüpft sind und wo Gren­zen gezo­gen wer­den, wird dabei jedes Mal neu ausgehandelt.

Das Muse­um als sozia­ler Ort

Die eine Archi­tek­tur, das eine Raum­ge­stal­tungs­re­zept, dass sich wie ein beque­mer, aber irgend­wann labb­ri­ger Jog­ging­an­zug allem über­stül­pen lässt, gibt es sicher nicht. Viel­mehr wächst die Her­aus­for­de­rung, sich jedem The­ma nicht nur inhalt­lich und räum­lich zu nähern, son­dern das Publi­kum mit­zu­den­ken. Denn das wird anspruchs­vol­ler. Es möch­te infor­miert und unter­hal­ten wer­den. Es kom­men alle Gene­ra­tio­nen, Bil­dungs­be­flis­se­ne, Men­schen, die Erleb­nis­se erwar­ten, Kin­der, die wie­der eine eige­ne Art der Ver­mitt­lung ein­for­dern. Und auch die Ansprü­che an Medi­en­ein­satz und Tech­nik stei­gen. Das (Raum-)Programm geht inzwi­schen weit über die Aus­stel­lungs­sä­le hin­aus; es umfasst Ver­an­stal­tun­gen, viel­leicht einen Kino­saal oder sogar eine Fach­bi­blio­thek. Ein anspre­chen­des Foy­er mit Muse­ums­ca­fé und ein gut sor­tier­ter Shop sind nicht mehr weg­zu­den­ken­de Ange­bo­te. Denn nicht zuletzt ist das Muse­um immer auch Ort des Aus­tauschs und der Begeg­nung, also ein zutiefst sozia­ler Ort.

Letz­te­res haben die Ber­li­ner Sta­ab Archi­tek­ten 2014 in Müns­ter in ein „offe­nes Haus“ über­setzt. Am Anfang stand für sie die Fra­ge: „Was ist ein Muse­um heu­te?“ Die Ant­wort: Das LWL-Muse­um für Kunst und Kul­tur – es liegt pro­mi­nent in Dom­nä­he und dockt als Ersatz­bau für ein Haus von 1972 an den Alt­be­stand von 1908 an – ver­bin­det eine Stra­ße namens Rothen­burg mit dem Dom­platz. Es macht zu bei­den Sei­ten eine ein­la­den­de Ges­te und öff­net sich auch zur beglei­ten­den Pfer­de­gas­se. Der Clou aber ist, dass das Erd­ge­schoss als Pas­sa­ge aus­ge­bil­det ist, die man ohne Ein­tritt zu zah­len que­ren kann und die so dem öffent­li­chen Raum zuge­schla­gen wird. Von dem mehr als groß­zü­gi­gen Foy­er zwei­gen Café und Buch­hand­lung ab. Wei­te Fens­ter­öff­nun­gen geben zudem ers­te Ein­bli­cke ins eigent­li­che Muse­um, brei­te Trep­pen­läu­fe ermun­tern zusätz­lich zum Besuch.

Test

Auch die Grimm­welt Kas­sel, 2015 eröff­net, reagiert auf ihre Umge­bung. Das Haus von kada­witt­feld­ar­chi­tek­tur (Aachen) wächst aus der Topo­gra­fie des Wein­bergs her­aus und ist zunächst haupt­säch­lich Trep­pen­land­schaft und damit auch hier öffent­li­cher Raum. Von der Stadt­sei­te und dem klei­nen Park im Süden füh­ren Stu­fen auf eine weit­läu­fi­ge Dachterrasse.

Im Haus setzt sich das Trep­pen­mo­tiv fort; die Aus­stel­lun­gen sind auf ver­setz­ten Ebe­nen ange­ord­net. Hier wird das Publi­kum nicht nur auf unter­halt­sa­me Art in die For­schungs- und Mär­chen­welt der Brü­der Grimm ein­ge­führt, son­dern durch die Aus­stel­lungs­in­sze­nie­rung des früh­zei­tig hin­zu­ge­zo­ge­nen Teams von Hol­zer Kobler und ver­schie­de­ne Instal­la­tio­nen selbst Teil des Gesche­hens. Das Foy­er fließt über die gesam­te Tie­fe des Hau­ses und endet in einem Restau­rant mit Pan­ora­ma­blick. Oben Dach­ter­ras­sen­pick­nick, Open-Air-Ver­an­stal­tung oder Sun­dow­ner, in der Mit­te Kuli­na­ri­sches, dar­über Wech­sel­aus­stel­lun­gen und Muse­ums­päd­ago­gik, unten die Dau­er­aus­stel­lun­gen. Ein­ge­streut sind the­ma­tisch pas­sen­de Auf­trags­ar­bei­ten zeit­ge­nös­si­scher Künst­le­rin­nen und Künst­ler – die Besu­che­rin­nen und Besu­cher ent­schei­den selbst über den Fokus ihres Rund­gangs und wel­che Les­art sie anneh­men möchten.

Umbau­en, Weiterbauen

Was aber mit den älte­ren, tra­di­tio­nel­le­ren Häu­sern tun, die nach wie vor dem Sam­meln, Bewah­ren und For­schen gerecht wer­den, die ihr sta­bi­les Publi­kum haben und zugleich den Wunsch, mit der Zeit zu gehen? Hier kön­nen Ergän­zungs­bau­ten für mehr Spiel­raum und Luf­tig­keit sor­gen. Zwei über­zeu­gen­de, jün­ge­re Bei­spie­le erwei­ter­ter Aus­stel­lungs­häu­ser sind die Frei­licht­mu­se­en im baye­ri­schen Groß­weil und in Molf­see nahe Kiel. Bei­de Anla­gen bestehen aus den für die­se Muse­ums­spar­te cha­rak­te­ris­ti­schen trans­lo­zier­ten regio­nal­ty­pi­schen Bau­ten, in bei­den Fäl­len ein­ge­bet­tet in satt­grü­ne Land­schaft, was durch die Erleb­nis­viel­falt ein brei­tes Publi­kum anzieht. Und genau die­se Besu­cher­scha­ren benö­ti­gen Infra­struk­tur, die die klein­tei­li­gen his­to­ri­schen Gebäu­de nicht haben: einen Ort der Ver­samm­lung, ein gas­tro­no­mi­sches Ange­bot, Räu­me für Vor­trä­ge, Work­shops und nicht zuletzt für ein zeit­ge­mä­ßes päd­ago­gi­sches Pro­gramm. Dafür ent­stan­den neue Emp­fangs­bau­ten, die all die­se Funk­tio­nen ergän­zen und sogar zusätz­li­che Flä­che für Son­der­aus­stel­lun­gen bie­ten. Obwohl ein­deu­tig als Neu­bau­ten zu iden­ti­fi­zie­ren, pas­sen sie sich den bestehen­den Ensem­bles rück­sichts­voll an. Für das Frei­licht­mu­se­um Molf­see haben ppp archi­tek­ten und stadt­pla­ner aus Lübeck die loka­le Bau­tra­di­ti­on in ein mit Cor­ten­stahl ver­klei­de­tes, zwei­flüg­li­ges Haus trans­for­miert (2021). Die über­ho­hen Dächer zitie­ren die Reet­dä­cher der Gegend. Eben­falls aus der Umge­bung über­nom­men ist die Scheu­nen­ar­chi­tek­tur, mit der Flo­ri­an Nag­ler Archi­tek­ten (Mün­chen) einen lang­ge­streck­ten Holz­bau 2018 zur neu­en Adres­se des Frei­licht­mu­se­ums Glent­lei­ten nahe des Kochel­sees machten.

Erhalt statt Abriss

Der Muse­ums­bau heu­te ist nicht mehr los­ge­löst von der all­ge­mei­nen Debat­te im Bau­we­sen: Wei­ter­bau­en und Erhalt statt Abriss und Neu­bau. Die Tate Modern in Lon­don, die durch die Umnut­zung eines Kraft­werks am Them­se-Ufer (2000) durch das Bas­ler Büro Her­zog & de Meu­ron so etwas wie eine neue Muse­ums­ge­ne­ra­ti­on ein­ge­läu­tet hat, ist inzwi­schen auch bereits ein knap­pes Vier­tel­jahr­hun­dert alt. Bei der Umnut­zung ehe­ma­li­ger Indus­trie­area­le wird der raue Charme der Ver­gan­gen­heit im bes­ten Fall Teil der Neu­kon­zep­ti­on. Oder in die Jah­re gekom­me­ne Häu­ser wer­den an tech­ni­sche und räum­li­che Anfor­de­run­gen ange­passt. Die vor­läu­fi­ge Beob­ach­tung zeigt eine Abkehr von „lau­ten“ Häu­sern, die um ihrer selbst (oder ihrer Urhe­ber) wil­len als glanz­vol­le Soli­tä­re im Stadt­raum ste­hen. Die lan­ge Vor­ge­schich­te der Erwei­te­rung des Muse­ums Küp­pers­müh­le in Duis­burg etwa hat dazu geführt, dass anstel­le einer auf­fäl­lig in die Höhe gestemm­ten leuch­ten­den Kis­te auf dem Dach des ehe­ma­li­gen Müh­len- und Spei­cher­ge­bäu­des ein sen­si­bel ange­pass­ter Kopf­bau ergänzt wur­de. Pikan­ter­wei­se stamm­te der nach außen ungleich auf­fäl­li­ge­re Ent­wurf von 2006 eben­so von Her­zog & de Meu­ron wie deren Kehrt­wen­de von 2013; Eröff­nung war 2021.

Muse­um als Adresse

Und wie ist es um die klei­nen Häu­ser bestellt? Einen Ort zu mar­kie­ren, ist für Muse­en und Aus­stel­lungs­häu­ser wich­ti­ger denn je; die Archi­tek­tur spielt dabei eine ganz wesent­li­che Rol­le. Viel­fach gelingt es auch ihnen, sich durch ihre Spe­zia­li­sie­rung her­aus­zu­he­ben und durch die Archi­tek­tur und das Pro­gramm die Auf­merk­sam­keit wach­zu­hal­ten. Auch hier ein Bei­spiel: Das Eisen­bahn­mu­se­um in Bochum erhielt 2019 einen Neu­bau von Max Dud­ler (Ber­lin). Die Kom­bi­na­ti­on aus einer ste­hen­den und einer lie­gen­den Kis­te steht auf dem Are­al des ehe­ma­li­gen Bahn­be­triebs­werks. Der rote Back­stein ist eine Remi­nis­zenz an das Lieb­lings-Bau­ma­te­ri­al des Ruhr­potts, die kla­re Form lässt ent­fernt an eine Loko­mo­ti­ve den­ken. Signa­tu­re Archi­tec­tu­re kann auch ganz beschei­den und funk­tio­nal daherkommen.

Orte des Vertrauens

Das vor­läu­fi­ge Schluss­wort soll wie­der das Insti­tut für Muse­ums­for­schung haben, das dem Publi­kum in einer brei­ten Umfra­ge die Ver­trau­ens­fra­ge stell­te. Das Ergeb­nis wur­de im April 2024 ver­öf­fent­licht und liest sich als Kom­pli­ment und Moti­va­ti­on zugleich: Grob zusam­men­ge­fasst wird den Muse­en gro­ßes Ver­trau­en aus­ge­spro­chen, ja, die­ser Sek­tor sogar an zwei­ter Stel­le nach der Fami­lie und vor ande­ren öffent­li­chen Insti­tu­tio­nen eingereiht.

Chris­ti­na Gräwe

Christine Gräwe ist Architektin, Autorin und Kuratorin im Bereich Architektur und Städtebau, unter anderem für das Deutsche Architekturtmuseum DAM. Sie ist Partnerin der kuratorenwerkstatt Förster, Gräwe, und lebt in Berlin