Zeich­nen – Ver­mes­sen – Abklatschen

Die Arbeit der König­lich Preu­ßi­schen Expe­di­ti­on an den Nil 1842–1845

Die Vor­ge­schich­te

1840: die Ster­ne für eine preu­ßi­sche Nil­ex­pe­di­ti­on ste­hen güns­tig. Der gera­de inthro­ni­sier­te preu­ßi­sche König Fried­rich Wil­helm IV. begeis­tert sich für Kunst, Wis­sen­schaft und beson­ders für Archäo­lo­gie, ist selbst ein her­vor­ra­gen­der Zeich­ner und plant, auf der Muse­u­min­sel einen Tem­pel der Kunst und Wis­sen­schaft zu errich­ten. 1843 beginnt der Bau des Neu­en Muse­ums, das ab 1850 – mit zahl­rei­chen Objek­ten aus der Expe­di­ti­on – eröff­net wird. Fried­rich Wil­helm IV. finan­ziert nicht nur die Expe­di­ti­on an den Nil, son­dern auch die Publi­ka­ti­on der Ergeb­nis­se. Mit Richard Lep­si­us fin­det sich ein risi­ko­freu­di­ger Jung­for­scher, der zur rich­ti­gen Zeit am rich­ti­gen Ort ist. Unter­stützt wird Lep­si­us von Chris­ti­an von Bun­sen, Chris­ti­an Gott­fried Ehren­berg und Ignaz von Olfers, aber auch von Alex­an­der von Hum­boldt – letz­te­rer gern gese­he­ner Gast bei des Königs Abend­ge­sell­schaf­ten in Ber­lin. Als Uni­ver­sal­ge­lehr­ter, Expe­di­ti­ons­rei­sen­der und Ver­trau­ter des Königs ist er einer der För­de­rer von und Vor­bild für Richard Lep­si­us. Er unter­stützt die Idee der Expe­di­ti­on durch Für­spra­che beim König, in der Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten und den zustän­di­gen Minis­te­ri­en. Bei der Pla­nung gewährt Hum­boldt ent­schei­den­de prak­ti­sche Hil­fe­stel­lung. Es ist noch immer die Zeit der ers­ten wis­sen­schaft­li­chen For­schun­gen zum Alten Ägyp­ten. Erst 1822 ent­schlüs­selt der Fran­zo­se Jean-Fran­çois Cham­pol­li­on die Hie­ro­gly­phen auf dem Stein von Rosette. Sein frü­her Tod (1833) und der sei­nes ita­lie­ni­schen Schü­lers Ippo­li­to Rosel­li­ni (1843) las­sen die ent­ste­hen­de Wis­sen­schaft Ägyp­to­lo­gie ver­waist zurück, so dass Richard Lep­si­us die­se Lücke fül­len kann.

Die König­lich Preu­ßi­sche Expedition

Das preu­ßi­sche Unter­neh­men star­tet im Sep­tem­ber 1842 mit dem Zusam­men­tref­fen der Teil­neh­mer in Alex­an­dria. Drei Jah­re spä­ter sind nicht weni­ger als 7408 Papier­ab­drü­cke, 1315 Zeich­nun­gen und 75 Gips­ab­güs­se von ägyp­ti­schen Denk­mä­lern, 31 Skiz­zen- und Notiz­bü­cher und 1900 Objek­te für das Ägyp­ti­sche Muse­um Ber­lin die erstaun­li­che wis­sen­schaft­li­che Aus­beu­te. Dank des viel­fäl­ti­gen erhal­te­nen Mate­ri­als lässt sich heu­te rela­tiv genau rekon­stru­ie­ren, wie die Teil­neh­mer vor Ort ihre Arbeits­pro­zes­se orga­ni­sie­ren, wel­che Metho­den zum Ein­satz kom­men, wie wis­sen­schaft­li­che Qua­li­täts­stan­dards gesetzt und durch­ge­hal­ten wer­den. Doku­men­tiert wird alles his­to­risch oder epi­gra­fisch Inter­es­san­te. Am Ende steht eine umfas­sen­de Bestands­auf­nah­me der mate­ri­el­len Hin­ter­las­sen­schaf­ten der ägyp­ti­schen Kul­tur und Tei­len der nubi­schen Kul­tu­ren. Richard Lep­si­us, der Lei­ter der Unter­neh­mung, erfasst sogar erst­mals ora­le nubi­sche Dia­lek­te des heu­ti­gen Sudan und sam­melt eth­no­gra­fi­sches und natur­wis­sen­schaft­li­ches Mate­ri­al. Als Preu­ße sieht er sich in der Nach­fol­ge Alex­an­der von Hum­boldts: Erfor­schen – Sam­meln – Mes­sen – Verbinden.

Das Exper­ten­team und ihre Methoden

Vier Zeich­ner mit einer Spe­zia­li­sie­rung auf Epi­gra­fik und Land­schafts­ma­le­rei sind Teil des Teams: Max und Ernst Wei­den­bach, Johann Jakob Frey sowie Otto Geor­gi. Bis März bzw. August 1843 beglei­ten die Eng­län­der Joseph Bono­mi d. J. und James Wild die Expe­di­ti­on, bei­de erfah­re­ne Zeich­ner und Archi­tek­ten. Lep­si­us trägt kla­re Vor­ga­ben hin­sicht­lich der doku­men­ta­ri­schen Erfas­sung an sie her­an und besteht auf dem Ein­satz der Anfang des Jahr­hun­derts erfun­de­nen Came­ra luci­da. Das hand­li­che opti­sche Instru­ment kann im Frei­en oder in Innen­räu­men genutzt wer­den und erlaubt es, eine räum­li­che Situa­ti­on exakt zu erfas­sen. Die damit gefer­tig­ten, zumeist in Blei­stift aus­ge­führ­ten Land­schafts­an­sich­ten über­lie­fern so den Zustand und die Posi­ti­on der Monu­men­te in ihrer Umge­bung, wie sie 1842–1845 vor­ge­fun­den wur­den, ohne per­spek­ti­vi­sche Ver­zer­run­gen oder künst­le­ri­sche Umgestaltung.

Für die Archi­tek­tur­auf­nah­me ist im Team der Land­ver­mes­ser und Archi­tekt Georg Erb­kam zustän­dig. Sei­ne Gebäu­de­ris­se und topo­gra­fi­schen Plä­ne zeu­gen von sei­nem Talent und über­zeu­gen bis heu­te durch ihre gro­ße Prä­zi­si­on. Letz­te­re fer­tigt er durch müh­sa­mes Abschrei­ten, Schrit­te zäh­len und Ver­mes­sen vor Ort an, nutzt und über­prüft aber auch Vor­ar­bei­ten ande­rer For­scher auf deren Richtigkeit.

Zur schnel­len und prä­zi­sen Doku­men­ta­ti­on deko­rier­ter Ober­flä­chen setzt Lep­si­us das alte Ver­fah­ren der Papier­ab­drü­cke (Abklat­sche) zum ers­ten Mal in gro­ßem Stil für die Wis­sen­schaft ein. Benutzt wird unge­leim­tes Papier, da es unver­dich­tet ist, gut Flüs­sig­keit auf­saugt und sei­ne Fasern unter­ein­an­der leicht ver­schieb­bar sind, ohne den Zusam­men­halt zu ver­lie­ren. Die Blät­ter wer­den vor Auf­brin­gung auf die reli­e­fier­te Ober­flä­che mode­rat befeuch­tet, um ihre vol­le Fle­xi­bi­li­tät zu ent­fal­ten. Anschlie­ßend wer­den sie mög­lichst fal­ten­frei auf die Ober­flä­che auf­ge­legt und mit Bürs­ten oder Schwäm­men vor­sich­tig, aber kräf­tig in die Ober­flä­chen­struk­tu­ren hin­ein­ge­schla­gen oder ‑gepresst.Abschließend trock­net das Papier auf der Ober­flä­che ab und wird vor­sich­tig abge­löst. Ein unschlag­ba­rer Vor­teil der Abklat­sche ist ihre Leich­tig­keit und zugleich Robust­heit. Papier ist auf Rei­sen ein­fach zu trans­por­tie­ren, und jeder­mann kann Abklat­sche her­stel­len, es bedarf kei­ner spe­zi­el­len Aus­bil­dung. Wie jedes Kopier­ver­fah­ren, das in direk­ten Kon­takt zum ori­gi­na­len Monu­ment tritt, beschä­digt das Abklat­schen mit feuch­tem Papier jedoch die Ober­flä­che des Ori­gi­nals. Male­rei erfas­sen die Zeich­ner ent­we­der durch direk­tes Pau­sen auf dem Monu­ment mit Trans­pa­rent­pa­pier oder durch maß­stäb­li­che Hand­zeich­nun­gen. Ein wei­te­res pro­ba­tes Ver­fah­ren der Zeit sind Abfor­mun­gen mit Gips, um Monu­men­te sowie Inschrif­ten unver­fälscht zu doku­men­tie­ren, aber zugleich auch die Ber­li­ner Samm­lung zu erwei­tern. Der geplan­te Ein­satz der gera­de erfun­de­nen Foto­gra­fie schei­tert noch an den schwie­ri­gen Reisebedingungen.

Sil­ke Grallert

Silke Grallert präsentierte 2022/23 zusammen mit Jana Helmbold-Doyé in der Ausstellung Abenteuer am Nil. Preußen und die Ägyptologie 1842-1845 inkl. umfangreichem Begleitband (Staatliche Museen Berlin) die neuesten Ergebnisse zu der Expedition. Im Rahmen ihrer Tätigkeit an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften forscht sie weiterhin zu diesem Themenkomplex.

Jana Helm­bold-Doyé

Jana Helmbold-Doyé präsentierte 2022/23 zusammen mit Silke Grallert in der Ausstellung Abenteuer am Nil. Preußen und die Ägyptologie 1842-1845 inkl. umfangreichem Begleitband (Staatliche Museen Berlin) die neuesten Ergebnisse zu der Expedition. Im Rahmen ihrer Tätigkeit an der Universität Leipzig / Ägyptisches Museum forscht sie weiterhin zu diesem Themenkomplex.