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Dritt­mit­tel­ge­för­der­te Digi­ta­li­sie­rung von Akten der Abtei­lung Schrift­schnei­de­rei der H. Bert­hold AG

Im Jahr 2024 wur­den im Rah­men des För­der­pro­gramms zur Digi­ta­li­sie­rung des kul­tu­rel­len Erbes (digiS)1 78 Akten aus der Zeit von 1913 bis 1945 der Ber­li­ner Schrift­gie­ße­rei H. Bert­hold AG digi­ta­li­siert und der Öffent­lich­keit zugäng­lich gemacht. Die Akten bil­den den Ent­wick­lungs­pro­zess ein­zel­ner Schrift­schnit­te für den Blei­satz ab und geben Ein­bli­cke in die Arbeit der zur dama­li­gen Zeit größ­ten Schrift­gie­ße­rei Europas.

Typografischer Probeabzug einer 8-Punkt-Berthold-Grotesk vom 2.1.1929 mit Mustertext zu „Auto und Reklame“, Buchstabenfolgen und handschriftlichen Korrekturen am Rand.
Andruck von der Bert­hold-Gro­tesk in 8 p mit Kor­rek­tu­ren in schwar­zer Hand­schrift durch Arthur Muraw­ski (1929). Foto: SDTB/ His­to­ri­sches Archiv I.2.046 408–006 (CC0)

Typo­gra­fi­sches Erbe Berlins

In Ber­lin gab es um 1900 über 3000 buch­ge­werb­li­che Betrie­be – dar­un­ter allein gut 540 Buch­dru­cke­rei­en mit meh­re­ren tau­send Beschäf­tig­ten, dar­un­ter auch sehr vie­le Frau­en. Von beson­de­rer Bedeu­tung für die Geschich­te die­ses für Ber­lin so wich­ti­gen Indus­trie­zweigs ist die 1858 in Kreuz­berg gegrün­de­te H. Bert­hold AG, die in der Wei­ma­rer Repu­blik sogar zur größ­ten Schrift­gie­ße­rei Euro­pas auf­stieg und viel­fäl­ti­ge Koope­ra­tio­nen mit Kunst­schaf­fen­den und Ange­hö­ri­gen des Staat­li­chen Bau­hau­ses pflegte.

Um die für Wirtschafts‑, Kunst- und Buch­ge­schichts­for­schung glei­cher­ma­ßen rele­van­ten Zeug­nis­se der typo­gra­fi­schen Kul­tur Ber­lins zu sichern und inter­na­tio­nal sicht­bar zu machen, ließ die Stif­tung Deut­sches Tech­nik­mu­se­um Ber­lin einen Teil des 1997 über­nom­me­nen, inter­nen Schrift­gutes der H. Bert­hold AG digi­ta­li­sie­ren und macht sie auf den Por­ta­len Muse­um digi­tal und DDB (Deut­sche Digi­ta­le Biblio­thek) online zugänglich.

Ent­wick­lungs­pro­zes­se im Schriftdesign

Aus­ge­wählt wur­den für die­ses Pro­jekt 78 Akten aus der Abtei­lung Schrift­schnei­de­rei der H. Bert­hold AG zu Ent­wurf und Fer­ti­gung von Blei­let­tern ver­schie­de­ner Schrift­schnit­te, wel­che zwi­schen 1913 und 1945 ent­stan­den sind, und deren beson­de­rer Wert dar­in besteht, dass sie die ein­zi­ge bekann­te über­lie­fer­te schrift­li­che Quel­le der Unter­neh­mens­kul­tur der H. Bert­hold AG aus die­ser Zeit dar­stel­len, wel­che den Pro­zess des Schrif­t­ent­wurfs und des­sen Anpas­sung an den Blei­satz beleuch­tet. Neben den inter­nen Bestell­zet­teln für die Fer­ti­gung von Mate­rn fin­den sich zahl­rei­che Pro­be­an­dru­cke ein­zel­ner Schrift­schnit­te, Logos und Figu­ren­ver­zeich­nis­se mit Kor­rek­tur­ver­mer­ken. Dar­un­ter sind zum Bei­spiel Andru­cke von Hie­ro­gly­phen, Ver­kehrs­zei­chen oder hebräi­schen Schrif­ten nach Ent­wür­fen von Fran­zis­ka Baruch2 oder Rafa­el Frank3.

Die vor­han­de­ne Kor­re­spon­denz mit Schrift­de­si­gnern wie Her­bert Post4 oder Mar­tin Wil­ke5 und Buch­dru­cke­rei­en sowie inter­ne Ver­mer­ke sind bis­her völ­lig unbe­kannt, sodass durch die digi­ta­le Ver­öf­fent­li­chung des Mate­ri­als neue Impul­se und Betrach­tungs­wei­sen für die wis­sen­schaft­li­che For­schung im Bereich Typo­gra­fie und Schrif­t­ent­wick­lung ermög­licht und unter­stützt wer­den. Ein­zig­ar­tig an dem Bestand ist, dass der Ent­wick­lungs­pro­zess des Schrift­de­signs abge­bil­det ist und damit für die For­schung zugäng­lich wird. Uns und den mit uns in Kon­takt ste­hen­den ein­schlä­gi­gen For­schen­den ist kein ande­rer Bestand bekannt, der den Arbeits­pro­zess des Schrift­de­signs so detail­liert abbil­det. Hier ist nicht nur das Ergeb­nis des Schrif­t­ent­wurfs erforsch­bar, son­dern durch die Kom­men­tie­rung der Stär­ken und Schwä­chen der ein­zel­nen Ent­wick­lungs­schrit­te sind auch die in die­ser Zeit gel­ten­den Para­dig­men der Schrift­ge­stal­tung analysierbar.

Inter­es­se in Wis­sen­schaft, Design und Handwerk

Das The­ma Schrift und Schrif­t­ent­wick­lung stellt ein aktu­el­les For­schungs­feld der Wis­sen­schaft dar. Dies zeigt die Reso­nanz auf das 2021 mit der Staats­bi­blio­thek zu Ber­lin, der Kunst­bi­blio­thek Ber­lin und der Erik Spie­ker­mann Foun­da­ti­on durch­ge­führ­te digiS-Koope­ra­ti­ons­pro­jekt in dem Schrift­mus­ter­pro­ben digi­ta­li­siert wur­den. Das His­to­ri­sche Archiv des Deut­schen Tech­nik­mu­se­ums ver­zeich­net seit in Gang Set­zung des digiS-Pro­jekts „Die Sicht­bar­ma­chung des Sicht­ba­ren“ einen rapi­den Anstieg von Recher­che­an­fra­gen zum The­ma Typo­gra­fie. Die­ses The­men­feld erhält nun einen wei­te­ren digi­tal zugäng­li­chen Bestand – stel­len die­se Akten in gewis­ser Wei­se doch eine Vor­stu­fe zu den Schrift­mus­ter­pro­ben dar. Neben den direk­ten Bezü­gen zur Typo­gra­fie­ge­schich­te gibt es auch Ver­bin­dun­gen zu ande­ren im His­to­ri­schen Archiv vor­han­den Akten­be­stän­den wie dem kürz­lich über­nom­me­nen DIN-Archiv oder dem Archiv der All­ge­mei­ne Elek­tri­ci­täts-Gesell­schaft (AEG).

  1. https://​www​.digis​-ber​lin​.de/ [30.01.2025] ↩︎
  2. https://​unseen​-women​.design/​d​e​s​i​g​n​e​r​i​n​n​e​n​/​f​r​a​n​z​i​s​k​a​-​b​a​r​uch [30.01.2025] ↩︎
  3. https://​de​.wiki​pe​dia​.org/​w​i​k​i​/​R​a​f​a​e​l​_​F​r​ank [30.01.2025] ↩︎
  4. https://​de​.wiki​pe​dia​.org/​w​i​k​i​/​H​e​r​b​e​r​t​_​P​ost [30.01.2025] ↩︎
  5. https://​de​.wiki​pe​dia​.org/​w​i​k​i​/​M​a​r​t​i​n​_​W​i​l​k​e​_​(​G​r​a​f​i​k​d​e​s​i​g​ner) [30.01.2025] ↩︎
Ruhl, Marcel, und Magdalena Schlösser: „Geteilte Schriften: Ergebnisse und Perspektiven des Projektes ‚Die Sichtbarmachung des Sichtbaren - Berlins typographisches Kulturerbe im Open Access‘. Deutsches Technikmuseum Berlin, Bd. Heft 1, 2022, S. S. 33-35.
Mar­cel Ruhl

Marcel Ruhl ist Archivar im Historischen Archiv des Deutschen Technikmuseums. Er ist für die Verzeichnung der Unternehmensarchive und fachliche Auskünfte zuständig.