Fahr­rad­pla­ka­te im Deut­schen Technikmuseum

Fahr­rad und Pla­kat im Fin de Siècle

Das Deut­sche Tech­nik­mu­se­um ver­wahrt eine Samm­lung von über sieb­zig Fahr­rad­pla­ka­ten aus der Zeit um 1900. Sie sind Zeug­nis­se einer Epo­che, in der nicht nur das Fahr­rad als neu­es Ver­kehrs­mit­tel für gro­ßes Auf­se­hen sorg­te, son­dern auch das Pla­kat das Bild der Städ­te gra­vie­rend veränderte.

Bei­de Pro­duk­te waren höchst modern und um bei­de ent­stand ein regel­rech­ter Boom. Pla­kat und Fahr­rad beein­fluss­ten sich gegen­sei­tig. Ernest Main­dron mein­te 1896 sogar, „daß die hohe Zahl illus­trier­ter Pla­ka­te dem Fahr­rad zuzu­schrei­ben“ sei.1 Sowohl das Fahr­rad als auch das Pla­kat stan­den sym­bo­lisch für das Fin de Siè­cle. Die­se Zeit war auf­grund der gro­ßen all­ge­mei­nen Ver­än­de­run­gen einer­seits durch eine Auf­bruchs­stim­mung und Zukunfts­eu­pho­rie, ande­rer­seits durch eine dif­fu­se Zukunfts­angst gekenn­zeich­net – vor allem in Frankreich.

Die Fahr­rad­pla­ka­te geben aber auch Ein­blick in zwei auf­stre­ben­de Indus­trien. Die Exem­pla­re der Samm­lung bewer­ben Fahr­rä­der von über vier­zig Her­stel­ler- und Zulie­fer­fir­men. Aiglon, Cot­te­reau, Gla­dia­tor, Phe­bus, Plas­son oder Rochet ste­hen exem­pla­risch für eine Viel­zahl an Unter­neh­men, die eupho­risch in die Fahr­rad­pro­duk­ti­on ein­ge­stie­gen waren, sich aber oft bereits nach weni­gen Jah­ren nicht mehr hal­ten konn­ten. Gleich­zei­tig sind die Pla­ka­te Bei­spie­le für den immensen Bedarf an Druck­sa­chen, der durch die zuneh­men­de Indus­tria­li­sie­rung ent­stan­den war. Drei­ßig ver­schie­de­ne Dru­cke­rei­en allein aus Paris sind vertreten.

Die Avant­gar­de war von Pla­kat und Fahr­rad beson­ders fas­zi­niert. Plakatkünstler:innen waren Stamm­gäs­te in den neu­en Velo­dro­men und deko­rier­ten ihre Ate­liers und Woh­nun­gen mit Pla­ka­ten. Die Samm­lung des Deut­schen Tech­nik­mu­se­um beinhal­tet Ent­wür­fe von drei­und­drei­ßig Künst­lern und zwei Künst­le­rin­nen sowie eini­ge Pla­ka­te, deren Urheber:innen unbe­kannt sind. Die größ­te Zahl an Fahr­rad­pla­ka­ten ent­warf Jean de Paléo­lo­gue (PAL), der sich vor allem mit alle­go­ri­schen Moti­ven und der Dar­stel­lung leicht beklei­de­ter Damen einen Namen gemacht hat­te. Er arbei­te­te vor allem für die Dru­cke­rei von Paul Dupont und für Caby et Char­din. Für ande­re, wie die Künst­ler Édouard Vuil­lard, Geor­ges Bot­ti­ni und Manu­el Rob­be bedeu­te­ten ihre Fahr­rad­pla­ka­te ihren ein­zi­gen Exkurs in das Werbemedium.

Bis zur Jahr­hun­dert­wen­de sind für das Fahr­rad mehr Pla­ka­te pro­du­ziert wor­den als für jede ande­re Ware. Sie hin­gen an Stadt­mau­ern, Markt­hal­len oder über den Schau­fens­tern der zahl­rei­chen Fahr­rad­händ­ler. Schnell waren sie auch bei den Sammler:innen gefragt. Am 1. März 1895 schrieb ein Mit­ar­bei­ter von „Cycles Clé­ment“ an den Pla­kathänd­ler Edmond Sagot, dass man sich ange­sichts der außer­or­dent­lich gro­ßen Nach­fra­ge ent­schie­den habe, Clé­ment-Pla­ka­te zum Stück­preis von zehn Francs an Inter­es­sier­te zu ver­kau­fen.2 Die Fahr­rad­her­stel­ler pro­fi­tier­ten unge­mein von den Pla­ka­ten, denn sie lie­fer­ten poten­zi­el­len Kund:innen die Bil­der zu den Emo­tio­nen und Träu­men, die ihr Pro­dukt ermög­li­chen sollte.

Bemer­kens­wert ist die enor­me Diver­si­tät der Ent­wür­fe. Die Fir­men enga­gier­ten Künstler:innen im stän­di­gen Wech­sel und bewar­ben ihre Fahr­rä­der dadurch mal mit Moti­ven in reins­tem flo­ra­lem Jugend­stil, mal mit ein­drück­li­chen alle­go­ri­schen und mytho­lo­gi­schen Dar­stel­lun­gen oder idyl­li­schen Land­schafts­sze­ne­rien. Kon­zep­te wie die Mar­ken­bil­dung oder der Wie­der­erken­nungs­ef­fekt hat­ten noch kei­ne Rele­vanz. Wich­tig war vor allem die befrei­en­de Funk­ti­on des Fahr­rads und ein Gefühl von Fort­schritt, Frei­heit und Selbst­be­stim­mung zu ver­mit­teln. Es ging um die Atmo­sphä­re, nicht um die Maschi­ne. Dem­entspre­chend ist das Fahr­rad als tech­ni­scher Gegen­stand oft nur zum Teil oder unge­nau dar­ge­stellt. Spei­chen wur­den ger­ne weg­ge­las­sen, Rah­men­for­men stark ver­fälscht. Erst ab 1910, als das Fahr­rad eine wesent­lich grö­ße­re Ver­brei­tung erreich­te, wur­den die indi­vi­du­el­len Merk­ma­le in der Regel auch in der Rekla­me exakt dar­ge­stellt.3

  1. Ren­nert, Jack: 100 Jah­re Fahr­rad-Pla­ka­te: eine Samm­lung von 96 Repro­duk­tio­nen, Rem­brandt Ver­lag, Ber­lin 1974, S. 3. ↩︎
  2. Weill, Alain: The Art Nou­veau Pos­ter, Fran­cis Lin­coln Limi­t­ed Publishers, Lon­don 2015, S. 31. ↩︎
  3. Rauck, Max J.B.; Vol­ke, Gerd; Patu­ri, Felix R: Mit dem Rad durch zwei Jahr­hun­der­te — Das Fahr­rad und sei­ne Geschich­te, AT Ver­lag, Aar­au 1979, S. 204. ↩︎
Tobi­as Baldus

Tobias Baldus ist Co-Kurator der Ausstellung „Freiheit auf zwei Rädern – Das Fahrrad auf französischen Plakaten um 1900“. Er ist bei einem Berliner Auktionshaus tätig und schreibt nebenbei für verschiedene Publikationen, insbesondere zu reklame- und verkehrsgeschichtlichen Themen.