Frei­heit auf zwei Rädern

Das Fahr­rad auf fran­zö­si­schen Pla­ka­ten um 1900

40 fran­zö­si­sche Fahr­rad­pla­ka­te aus der Samm­lung des His­to­ri­schen Archivs des Deut­schen Tech­nik­mu­se­ums: Die groß­for­ma­ti­gen Litho­gra­fien ent­stan­den zwi­schen 1890 und 1910. Zu die­ser Zeit war das Fahr­rad in sei­ner bis heu­te geläu­fi­gen Form als Sicher­heits­nie­der­rad ein all­tags­taug­li­ches, moder­nes Ver­kehrs­mit­tel gewor­den und ging mit dem Pla­kat als neu­em Wer­be­me­di­um eine krea­ti­ve Sym­bio­se ein.

Das Plakat zeigt eine Frau auf einem Fahrrad der Marke „Cycles Terrot“, die aus einem Tunnel herausfährt und sich nach einer herannahenden Dampflokomotive umblickt.
Cycles Ter­rot
Litho­gra­fie, 1889
Affi­ches Artis­tique P. Ver­cas­son, Paris
Fran­cis­co Tama­g­no (1851–1933)

Im Frank­reich der Bel­le Épo­que ver­sprach das Fahr­rad ein Lebens­ge­fühl von Frei­heit, Unab­hän­gig­keit und Moder­ni­tät und als sol­ches wur­de es mit dem damals moderns­ten Rekla­me­mit­tel groß­flä­chig bewor­ben: dem Pla­kat. Die­se groß­for­ma­ti­gen Wer­be­lit­ho­gra­fien gal­ten schnell nach ihrem Auf­kom­men als außer­ge­wöhn­li­che Kunst­wer­ke. Heu­te bie­ten sie uns ein­zig­ar­ti­ge Ein­bli­cke in das dama­li­ge Ver­ständ­nis von Tech­nik und Kul­tur. Beson­ders Frau­en stan­den um 1900 im Mit­tel­punkt der Wer­bung – und das auf ganz unter­schied­li­che Wei­se. Die Pla­ka­te spie­geln die gesell­schaft­li­chen Idea­le und Welt­bil­der um 1900 wider und zei­gen ein zeit­ty­pi­sches Spek­trum von Geschlech­ter­rol­len, Tech­nik und Kultur.


Ein stilvolles Plakat, das für „Peugeot“ Fahrräder wirbt. Es zeigt eine elegante Frau mit rotem Hut, die auf einem Fahrrad fährt, begleitet von einem großen Hund und zwei spielenden Welpen. Im Hintergrund ist ein Park mit einem klassizistischen Pavillon zu sehen, was ein Gefühl von Freiheit und Eleganz vermittelt.

Peu­geot
Litho­gra­fie, 1906
Imp. G. Elleau­me, Paris
Wal­ter Thor (1870–1929)

Eine Spa­zier­fahrt im Grü­nen: Flä­chig-redu­ziert setzt Wal­ter Thor eine Park­land­schaft mit einer Tem­pel­ar­chi­tek­tur ins Bild. Der gewun­de­ne Weg sug­ge­riert räum­li­che Tie­fe. Nach der dama­li­gen Mode beklei­det mit lan­gem schwar­zem Rock, einer wei­ßen Blu­se mit soge­nann­ten Ham­mel­keu­len­är­meln und einem kecken roten Hut, erscheint die Rad­fah­re­rin in voll­ende­ter Ele­ganz. Die wir­belnd-ver­schwim­men­den Spei­chen deu­ten die Rasanz der Fahrt an. Beglei­tet wird die Wer­be­da­me von frei­lau­fen­den wei­ßen Hun­den, die den Ein­druck von Dyna­mik und Unge­bun­den­heit noch ver­stär­ken.
Der Deut­sche Walt­her Thor gehör­te zum Künstler:innenkreis um die Münch­ner Zeit­schrift Jugend, die dem Jugend­stil sei­nen Namen verlieh.

Cycles Hum­ber
Litho­gra­fie, cir­ca 1900
Imp. Caby & Char­din, Paris
Hen­ri­et­te Bressler

Vor einem tief­blau­en Ster­nen­him­mel stützt Hen­ri­et­te Bress­lers Wer­be­fi­gur ver­träumt das Kinn in die Hän­de. Die Ell­bo­gen ruhen auf dem Fahr­rad­len­ker, der von ihren über­lan­gen, orna­men­tal sti­li­sier­ten Locken effekt­voll hin­ter­fan­gen wird. Die Fri­sur und das schlich­te wei­ße Kleid erschei­nen zeit­los. Pas­siv und intro­ver­tiert, ent­spricht die Dar­ge­stell­te ganz über­kom­me­nen Ide­al­vor­stel­lun­gen von Weib­lich­keit. Dyna­mik, Fahr­ver­gnü­gen wie auch das fort­schritt­lich-eman­zi­pa­to­ri­sche Moment, das zahl­rei­che ande­re Fahr­rad­pla­ka­te der Zeit kenn­zeich­net, wer­den gänz­lich aus­ge­blen­det. Hern­ri­et­te Bress­ler gehör­te zu den weni­gen Pla­kat­künst­le­rin­nen. Über ihre Bio­gra­fie ist nichts bekannt. Das Pla­kat für Cycles Hum­ber wur­de bei Caby & Char­din pro­du­ziert, einer der füh­ren­den Dru­cke­rei­en in Paris.

Ein Plakat für "Cycles Humber" zeigt eine verträumte Frau mit goldenen Haaren, die auf einem Fahrrad ruht, umgeben von Sternen und einem tiefblauen Nachthimmel.
Das Plakat zeigt eine elegant gekleidete Frau, die auf einem Fahrrad der Marke „Hurtu“ fährt, mit einem leuchtend gelben Hintergrund und dem prominenten roten Schriftzug „Hurtu“. Unten stehen Adressangaben in Paris.

Hur­tu Dili­ge­on & Cie.
Litho­gra­fie, 1895
Imp. Lemer­cier, Paris
Anonym

Ide­al­ty­pisch zeigt sich hier pla­ka­ti­ve Reduk­ti­on: Die schwarz-roten Buch­sta­ben des Mar­ken­na­mens heben sich eben­so mar­kant vom flä­chi­gen gel­ben Hin­ter­grund ab wie die schwarz geklei­de­te Wer­be­fi­gur. Ihre modi­sche Sil­hou­et­te erscheint bis zur Kari­ka­tur über­zeich­net; die unna­tür­lich schma­le Wes­pen­tail­le kon­tras­tiert mit dem aus­la­den­den Rock und den volu­mi­nö­sen Ärmeln. Auf einem nur ange­deu­te­ten Weg kommt die Dar­ge­stell­te den Betrachter:innen in schnel­ler Fahrt ent­ge­gen, die bis zur Unkennt­lich­keit ver­schwim­men­den Spei­chen des Vor­der­rads unter­strei­chen den Ein­druck von Geschwin­dig­keit. Die­ses Pla­kat war meh­re­re Jah­re sehr ver­brei­tet; 1896 wur­de es in Reims auf der größ­ten Pla­kat­aus­stel­lung der Zeit gezeigt – zusam­men mit 1690 ande­ren Wer­ken. Wer das Motiv ent­warf, ist jedoch nicht überliefert.

Das Poster für "Cycles & Accessoires Griffiths" zeigt eine kunstvolle Jugendstil-Illustration mit einer eleganten Frau in fließendem Kleid, die einer älteren Frau mit Rosen auf einem Fahrrad begegnet.

Cycles & Acces­soires Grif­fiths
Litho­gra­fie, 1898
Imp. J. Bar­reau, Paris
Hen­ri Thi­riet (1873–1946)

Das Pla­kat zeigt eine jun­ge Frau in mühe­lo­ser, flot­ter Fahrt – auch wenn vom Fahr­rad kaum mehr als der von wei­ßen Rosen umrank­te Len­ker zu sehen ist. Im Vor­der­grund sitzt eine deut­lich vom Alter gezeich­ne­te Frau inmit­ten eines Dor­nen­ge­strüpps am Boden. An ihrer Schul­ter lehnt ein Krück­stock, der ihre ein­ge­schränk­te Beweg­lich­keit ver­deut­licht. Das Kinn in die Hand gestützt, betrach­tet sie weh­mü­tig die schwung­vol­le Vita­li­tät der Rad­fah­re­rin. Der pla­ka­ti­ve Kon­trast unter­streicht das Wer­be­ver­spre­chen jugend­li­cher Dyna­mik und Mobi­li­tät. Hen­ri Thi­riet gestal­te­te zahl­rei­che Fahr­rad­pla­ka­te. Ganz im Zei­chen des Art Nou­veau setz­te er dabei auf eine ele­gant geschwun­ge­ne Lini­en­füh­rung – sei es in den sti­li­sier­ten lan­gen Locken der Rad­fah­re­rin, den üppig dra­pier­ten Gewand­fal­ten oder flo­ra­len Elementen.

Ein Jugendstil-Plakat für Clément zeigt eine stilisierte Frau in fließendem Gewand mit Lorbeerkranz und Fahrrad, eingebettet in ein kunstvoll geschwungenes, naturinspiriertes Design mit warmen Farben.

Clé­ment
Litho­gra­fie, cir­ca 1900
Imp. Bour­ge­rie & Cie., Paris
Arthur Foä­che (1871–1967)

Für die Fahr­rad­mar­ke Clé­ment gestal­te­te Arthur Foä­che eine Frau­en­fi­gur in Anleh­nung an die Anti­ke: Ein weich flie­ßen­des, locke­res Gewand umhüllt den Kör­per, bedeckt jedoch kaum die Brust. Als tra­di­tio­nel­les Sie­ges­sym­bol krönt ein Lor­beer­kranz den Kopf der Dar­ge­stell­ten; im Arm hält sie einen aus­la­den­den Zweig. Das bewor­be­ne Rad rückt dage­gen moti­visch aus dem Fokus. Es wird als aus­ge­spar­ter Umriss im Papier­ton wie­der­ge­ge­ben und auf bei­den Sei­ten vom Bild­rand über­schnit­ten. Umso farb­in­ten­si­ver ist die Land­schaft im Hin­ter­grund gestal­tet. Die Wie­se, Bäu­me und der von gel­ben Wol­ken durch­zo­ge­ne rote Him­mel erschei­nen in der orna­men­ta­len Sti­li­sie­rung des Art Nou­veau. Dicht gebün­del­te, schwin­gen­de Lini­en über­la­gern die flä­chig-redu­zier­ten Moti­ve, die so regel­recht zu vibrie­ren scheinen.

Clé­ment
Litho­gra­fie, 1896
Imp. J. Kos­suth & Cie., Paris
Luci­en Bayl­ac (1851–1913)

Erwar­tungs­voll hebt eine modisch in Pump­ho­sen und tail­lier­te Jacke geklei­de­te Rad­le­rin ihr Fahr­rad in die Höhe. Ein weib­li­cher, geflü­gel­ter Geni­us in anti­ki­scher Dra­pe­rie schwebt ihr ent­ge­gen und krönt das Rad mit einem gol­de­nen Lor­beer­kranz als Zei­chen von Sieg und Ehre.
Luci­en Bayl­acs Figu­ren ver­bin­den den Rück­griff auf die Kunst­tra­di­ti­on mit der moder­nen Lebens­welt: Wäh­rend der Geni­us der Rea­li­tät gänz­lich ent­rückt ist, erscheint die Hosen tra­gen­de Rad­fah­re­rin als fort­schritt­lich-eman­zi­pier­te Frau. Indem sie offen­bar mühe­los ihr Rad anhebt, wird ganz neben­bei des­sen leich­te Hand­hab­bar­keit herausgestellt.

Ein farbenfrohes Plakat der Marke Clément aus Paris zeigt ein Fahrrad, das von einem jungen Mädchen gehalten wird, während ein schwebender Engel einen goldenen Lorbeerkranz überreicht.

Phé­bus
Litho­gra­fie, cir­ca 1897
Affi­ches Camis, Paris
Fran­cis­co Tama­g­no (1851–1933)

In Anspie­lung auf den Mar­ken­na­men Phé­bus zeigt Fran­cis­co Tam­ga­no den grie­chi­schen Gott Phö­bus Apol­lon: Den Son­nen­wa­gen, den er der Sage nach über das Fir­ma­ment lenkt, hat Apoll hin­ter sich gelas­sen, um auf das bewor­be­ne Fahr­rad umzu­stei­gen. Mit der Rech­ten reckt er einen Lor­beer­kranz als Sie­ges­zei­chen in die Höhe. Effekt­voll hin­ter­fängt die strah­len­de Son­ne die Göt­ter­ge­stalt inmit­ten sich auf­tür­men­der Wol­ken. Im Rück­griff auf die anti­ke Mytho­lo­gie erscheint die pro­fa­ne Wer­be­bot­schaft über­höht.
Tama­g­no war gebür­ti­ger Ita­lie­ner, über sei­ne Bio­gra­fie ist wenig bekannt. Nach Paris über­sie­del­te er, um an der Éco­le des Beaux-Arts zu stu­die­ren, und mach­te sich dort im Fol­gen­den als Pla­kat­ge­stal­ter einen Namen.

Ein Plakat für "Phébus" zeigt eine mythologische Figur mit Lorbeerkranz und Fahrrad, umgeben von Pferden und Sonnenstrahlen, die Dynamik und Innovation symbolisieren.
Das Plakat bewirbt das „Bicyclette Hallot“ und zeigt Napoleon mit Hut, der ein Fahrrad auf einer Pyramidenspitze hält. Unten ist ein detailliertes Fahrrad abgebildet, begleitet von der Aufschrift: „Elle a toujours monté toutes les côtes.“

Bicy­clette Hal­lot
Litho­gra­fie, cir­ca 1900
Publi­ci­té Wall, Paris
Raoul Vion

Das Hal­lot-Rad habe immer alle Hän­ge bezwun­gen, ver­spricht der Wer­be­text neben dem detail­liert ganz in Weiß wie­der­ge­ge­be­nen Fahr­rad. Dahin­ter heben sich zwei zu bläu­li­chen Schat­ten­ris­sen redu­zier­te Pyra­mi­den effekt­voll vom leuch­tend gel­ben Grund ab. Auf der Spit­ze der vor­de­ren ist die Sil­hou­et­te des fran­zö­si­schen Kai­sers Napo­le­on I. (1769–1821) erkenn­bar, der ein wei­te­res Fahr­rad hält. Der moti­vi­sche Ana­chro­nis­mus – zu Leb­zei­ten Napo­le­ons gab es noch kei­ne Fahr­rä­der in der hier gezeig­ten Form – ist als humo­ris­ti­sche Anspie­lung auf den desas­trö­sen Ägyp­ten-Feld­zug des berühm­ten Mili­tärs zu ver­ste­hen: Mit einem Hal­lot-Rad wäre Napo­le­on erfolg­reich und selbst die Pyra­mi­den kein Hin­der­nis gewe­sen, so die Botschaft.

Das Plakat zeigt Werbung für "Cycles Peugeot". Es illustriert einen Soldaten mit einem Fahrrad, der einem berittenen Offizier in einer herbstlichen Landschaft Dokumente überreicht.

Cycles Peu­geot
Litho­gra­fie, cir­ca 1904
Imp. Lemer­cier, Paris
Ernest Vul­li­e­min (1862–1902)

Kaum ein Fahr­rad­pla­kat war so ver­brei­tet wie Ernest Vul­li­em­ins Ent­wurf für Cycles Peu­geot: Ein Kür­ra­sier hoch zu Ross erhält eine Nach­richt von einem eben­falls uni­for­mier­ten Fahr­rad­bo­ten. Die mili­tä­ri­sche Sze­ne ver­weist auf die Zuver­läs­sig­keit und Qua­li­tät von Peu­geot-Fahr­rä­dern. Tat­säch­lich wur­den vor allem in Frank­reich Mili­tär­rad­fah­rer als Boten und Spä­her eingesetzt.

Cycles Car­men
Litho­gra­fie, cir­ca 1900
Imp. Paul Dupont, Paris
Mau­rice Marodon

In Anspie­lung auf den Mar­ken­na­men greift Mau­rice Maro­dons Pla­kat die Haupt­fi­gu­ren aus Pro­sper Méri­mées 1845 erschie­ne­nem Roman Car­men auf: Der zum Rad­fah­rer gewan­del­te Stier­kämp­fer Esca­mil­lo grüßt Car­men, die vom Bal­kon her­ab­blickt. Méri­mées Roman lös­te in Frank­reich eine Wel­le der Begeis­te­rung für alles Spa­ni­sche aus. Der Autor präg­te das Bild der spa­ni­schen Roma als lei­den­schaft­li­che „Gita­nos“, die Frei­heit und Unge­bun­den­heit ver­kör­pern. Car­men inspi­rier­te nicht nur die Fahr­rad­wer­bung, son­dern auch Geor­ges Bizets gleich­na­mi­ge Oper.
Am unte­ren Rand des Pla­kats ver­weist der Zusatz „Affi­che d‘Intérieur“ dar­auf, dass es für Innen­räu­me bestimmt war. Die eige­ne Woh­nung mit Pla­ka­ten zu deko­rie­ren, war en vogue.

Ein farbenfrohes Plakat für "Cycles Carmen" zeigt einen Mann in traditioneller Matador-Kleidung auf einem Fahrrad, während eine Frau auf einem Balkon zuschaut. Die Szene betont Eleganz und Romantik.
Das Plakat bewirbt „Automobiles et Cycles Clément“ und zeigt zwei stilvoll gekleidete Frauen, die ihre Fahrräder durch eine nächtliche Landschaft schieben, während im Hintergrund ein Auto und ein leuchtendes Logo zu sehen sind.

Auto­mo­bi­les et Cycles Clé­ment
Litho­gra­fie, 1903
Imp. Minot, Paris
Albert Guil­laume (1873–1942)

Mit einer effekt­voll beleuch­te­ten Nacht­sze­ne bewirbt Albert Guil­laume Fahr­rä­der und Auto­mo­bi­le des Pari­ser Her­stel­lers Clé­ment: In Rücken­an­sicht sind zwei Frau­en in schlich­ten grau­en Röcken und wei­ßen Blu­sen zu sehen; neben ihren Fahr­rä­dern hal­ten sie Papier­la­ter­nen. Wei­ter hin­ten hat ein männ­li­cher Fah­rer sein Auto gestoppt. Sie alle betrach­ten ein Feu­er­werk im Mit­tel­grund. Rechts ist die Sei­ne sowie in der Fer­ne das nächt­lich erleuch­te­te Paris mit dem Eif­fel­turm zu sehen. Das Pla­kat wirbt so nicht mit dem Ver­spre­chen von Mobi­li­tät und Fahr­ver­gnü­gen, son­dern setzt die bewor­be­ne Mar­ke in asso­zia­ti­ven Bezug zu den Attrak­tio­nen des moder­nen Groß­stadt­le­bens. Albert Guil­laume war nicht nur als Pla­kat­künst­ler tätig, son­dern auch einer der bekann­tes­ten Kari­ka­tu­ris­ten sei­ner Zeit.

Das Plakat zeigt eine dynamische Darstellung für "Rambler Cycles". Eine Frau in wehenden Gewändern fährt ein Fahrrad vor einem dunklen Hintergrund.

Ram­bler Cycles G. & J.
Litho­gra­fie, cir­ca 1900
Imp. Kos­suth & Cie., Paris
Anonym

Die beschwing­te Rad­fah­re­rin scheint in far­bi­ges, von unten kom­men­des Licht getaucht, das sie effekt­voll vom schwar­zem Grund abhebt. Dra­ma­tisch anmu­ten­de Schat­ten akzen­tu­ie­ren die Figur zusätz­lich. Die unge­wöhn­li­che Beleuch­tung wie auch die sich üppig bau­schen­de Dra­pe­rie, wel­che die Figur umhüllt, las­sen an die Auf­trit­te der ame­ri­ka­ni­schen Tän­ze­rin Loïe Ful­ler den­ken. Ab den 1890er Jah­ren fei­er­te Ful­ler mit ihrem „Ser­pen­ti­nen­tanz“ Erfol­ge: Sie ver­hüll­te ihren Kör­per mit meter­lan­gen Stoff­bah­nen, die sie mit­tels ein­ge­ar­bei­te­ter Bam­bus­stä­be in Bewe­gung ver­setz­te. Die schwin­gen­den Stoff­mas­sen wur­den mit wech­seln­der far­bi­ger Beleuch­tung effekt­voll insze­niert. Das Fahr­rad­pla­kat macht sich Ful­lers Popu­la­ri­tät zunut­ze, warb die Tän­ze­rin doch mit ganz ähn­li­chen Dar­stel­lun­gen für ihre Auftritte.

Cycles Grif­fon
Litho­gra­fie, cir­ca 1900
Imp. G. Elleau­me, Paris
Signiert: L. d‘H

Das Pla­kat, des­sen Urhe­ber­schaft bis­her unge­klärt ist, zeigt in Anspie­lung auf den Mar­ken­na­men einen impo­san­ten Greif vor einer hell strah­len­den Son­ne. In einem sepa­ra­ten Bild­feld ist eine Frau auf ihrem Rad zu sehen, die den Betrachter:innen in rasan­ter Fahrt ent­ge­gen­kommt. Wei­ter hin­ten hat ein männ­li­cher Rad­fah­rer ange­hal­ten und blickt ihr nach. Nicht nur ihn, sogar ein Auto­mo­bil hat die schnel­le Rad­le­rin hin­ter sich gelas­sen. Eine Wer­be­ta­fel links am Weges­rand gibt noch ein­mal den Mar­ken­na­men wie­der.
Die Dar­stel­lung kom­bi­niert so nicht nur eine zeit­ge­nös­si­sche Sze­ne mit der alle­go­risch-mytho­lo­gi­schen Figur des Greifs, son­dern the­ma­ti­siert in einer für den heu­ti­gen Blick befremd­li­chen Dop­pe­lung noch ein­mal die Mar­ken­wer­bung selbst.

Ein farbenfrohes Plakat für Cycles Griffon zeigt eine elegante Frau auf einem Fahrrad in ländlicher Umgebung, überragt von einem dramatischen Greifen unter strahlender Sonne. Text und Details bewerben die Marke.
Ein Plakat für "Cycles Clément" zeigt eine elegant gekleidete Frau mit einem Hut, die auf einem Fahrrad sitzt und zu einer orangefarbenen Laterne zeigt, die von Ästen hängt.

Cycles Clé­ment
Litho­gra­fie, cir­ca 1895
Bour­ge­rie & Cie., Paris
Mis­ti (Fer­di­nand Mifliez, 1865–1923)

Mis­tis Pla­kat für Cycles Clé­ment lebt ganz von der ein­drück­lich insze­nier­ten Beleuch­tungs­si­tua­ti­on: Vor dem tief­blau­en Nacht­him­mel ist rechts oben im Geäst eines Baums ein in war­mem Oran­ge strah­len­der Lam­pi­on mit dem Mar­ken­na­men zu sehen. Eine weib­li­che Wer­be­fi­gur in ele­gan­ter Gar­de­ro­be weist mit aus­ge­streck­tem Fin­ger auf ihn. Sie erscheint als bläu­lich ver­schat­te­te Sil­hou­et­te, deren Kon­tur vom Licht­schein effekt­voll akzen­tu­iert wird. Vom Bild­rand über­schnit­ten, wird das Fahr­rad dage­gen zur Neben­sa­che – nur Len­ker, Sat­tel und Quer­stan­ge sind auszumachen.

Ein kunstvolles Plakat für Pneu Michelin zeigt eine stilisierte Frau in fließenden Gewändern mit einem Lorbeerblatt, die auf einem gefiederten Fahrradreifen balanciert. Umgeben von floralen Ornamenten und weichen Farben.

Pneu Miche­lin
Litho­gra­fie, 1895
Imp. Moder­ne M. de Brun­off & Cie., Paris
Anonym

1891 ent­wi­ckel­te Miche­lin einen Luft­rei­fen, der erst­mals abnehm­bar war und das Fahr­rad all­tags­taug­lich mach­te. Die­ser Rei­fen sei der ein­zi­ge, der auf das Rad der For­tu­na pas­se, so die Pla­ka­tin­schrift. Auf einem geflü­gel­ten Rei­fen strebt die römi­sche Schick­sals­göt­tin sou­ve­rän den Betrachter:innen ent­ge­gen, ein Palm­blatt als Sie­ges­sym­bol in der Rech­ten. Sie wird mit einer Frau­en­fi­gur im Hin­ter­grund kon­tras­tiert, die augen­schein­lich den fal­schen Rei­fen gewählt hat und ver­un­fallt ist. Das Pla­kat schöpft aus zwei ver­schie­de­nen Bild­tra­di­tio­nen: Um die Unbe­stän­dig­keit des Glücks anzu­deu­ten, wur­de For­tu­na häu­fig auf einer Kugel balan­cie­rend gezeigt. Das ihr bei­gege­be­ne Schick­sals­rad dien­te dage­gen nicht der Fort­be­we­gung. Der Miche­lin-Rei­fen ersetzt hier bei­de Moti­ve, er scheint das Glück zu sichern.

Das Plakat bewirbt „Phébus“-Räder mit einer dramatischen Darstellung: Ein geflügelter Engel mit fließendem Haar fällt vom Himmel, umgeben von Lichtstrahlen, seine Hand nach einem Fahrradreifen ausgestreckt.

Phé­bus
Litho­gra­fie, cir­ca 1898
Papiers-Mon­naie, Paris
Hen­ri Gray (Hen­ri Bou­lan­ger, 1858–1924)

In dyna­mi­schem Sturz­flug strebt eine geflü­gel­te Nack­te einem ein­zel­nen Rad der bewor­be­nen Mar­ke ent­ge­gen. Figur und Rad sind plas­tisch aus­ge­ar­bei­tet und sou­ve­rän in per­spek­ti­vi­scher Ver­kür­zung vor tief­schwar­zem Grund wie­der­ge­ge­ben. Geo­me­trisch-sti­li­sier­te Licht­strah­len mögen auf Phö­bus Apol­lon ver­wei­sen, den grie­chi­schen Gott des Lichts, dem die bewor­be­ne Mar­ke ihren Namen ver­dankt.
Wie hier setz­te Hen­ri Gray immer wie­der auf die sinn­li­chen Rei­ze weib­li­cher Akt­fi­gu­ren, um Auf­merk­sam­keit für die Wer­be­bot­schaft zu gene­rie­ren. Stets als flie­gen­de Geni­en vor neu­tra­lem Grund dar­ge­stellt, waren die Figu­ren der Lebens­rea­li­tät so weit ent­rückt, dass die frei­zü­gi­gen Dar­stel­lun­gen von den Zeitgenoss:innen tole­riert wurden.

Cycles Clé­ment Moto­cy­cles
Litho­gra­fie, cir­ca 1898
Imp. Paul Dupont, Paris
PAL (Jean de Paléo­lo­gue, 1860–1942)

Stolz wirbt der Her­stel­ler Clé­ment mit der „größ­ten Fabrik der Welt“; rechts im Bild erstreckt sich der impo­san­te weit­läu­fi­ge Werk­kom­plex. Wäh­rend so der tech­ni­sche Fort­schritt her­aus­ge­stellt wird, schöpft die alle­go­ri­sche Frau­en­fi­gur rechts aus über­kom­me­nen Dar­stel­lungs­tra­di­tio­nen: Ihr offen­her­zi­ges Gewand, das die nack­ten Brüs­te sehen lässt, mutet anti­kisch an. Auf dem Kopf trägt sie einen Lor­beer­kranz als Sie­ges­zei­chen. Ham­mer und Amboss ver­sinn­bild­li­chen die hand­werk­li­che Qua­li­tät der Fahr­rad­her­stel­lung – ein offen­sicht­li­cher Ana­chro­nis­mus, wird doch mit der Fabrik zugleich auf die indus­tri­el­le Pro­duk­ti­on verwiesen.

Das Plakat wirbt für „Cycles Clément-Motocycles“ und zeigt eine allegorische weibliche Figur, die einen Hammer hält, mit einer großen Fabrik im Hintergrund und dem Schriftzug „La plus vaste usine du monde“.

Rudge
Litho­gra­fie, cir­ca 1895
Imp. F. Appel, Paris
Mis­ti (Fer­di­nand Mifliez, 1865–1923)

Mis­tis Pla­kat für Rudge-Fahh­rä­der the­ma­ti­siert weni­ger das bewor­be­ne Pro­dukt als viel­mehr die Wer­bung selbst: Auf einer Büh­ne preist ein Ver­käu­fer das nagel­neue, noch im Trans­port­rah­men ste­cken­de Rad an. Hin­ter ihm sind zahl­rei­che Rudge-Pla­ka­te ange­schla­gen. Aus den dun­kel ver­schat­te­ten Sil­hou­et­ten des Publi­kums ste­chen zwei wohl­ha­ben­de Damen her­aus, die augen­schein­lich ange­tan sind. Stil­si­cher und modisch aus­staf­fiert, die­nen sie als Blick­fang sowie Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gu­ren für poten­ti­el­le Kun­din­nen – auch wenn die Lebens­rea­li­tät der meis­ten Frau­en kaum ent­spre­chen­de Inves­ti­tio­nen zuließ. Dass Wer­bung wie­der­um eine Wer­be­si­tua­ti­on zeigt, war um 1900 kein sel­te­nes Phä­no­men. Deut­lich tritt dar­in die Suche nach geeig­ne­ten Bild­stra­te­gien für das noch jun­ge Medi­um Pla­kat zutage.

Ein Plakat für die "Bicyclette DS" zeigt einen Gentleman in schwarzem Frack, der ein Fahrrad in einer Holzkiste präsentiert. Eine Menge elegant gekleideter Menschen beobachtet aufmerksam die Demonstration.
Das Plakat bewirbt den „La Selle Christy“-Fahrradsattel mit einer stilisierten Frau im grünen Outfit, die den Sattel hält. Links wird „anatomique et hygiénique“ hervorgehoben, rechts ein „ancien système“ abgelehnt.

Voi­la! La Sel­le Chris­ty
Litho­gra­fie, 1897
Hick­son Ward & Co., Lon­don
Jac­ques Faria (1898–1956)

Einen beque­men Sat­tel her­zu­stel­len, war erstaun­lich lan­ge ein Pro­blem. Vie­le Vari­an­ten soll­ten Gesäß­schmer­zen ent­ge­gen­wir­ken. Zudem schlu­gen selbst ernann­te Sittenwächter:innen Alarm. Sie ver­mu­te­ten, dass Frau­en auf den her­kömm­li­chen schma­len Sat­teln per­ma­nent sti­mu­liert wür­den. Die fla­che Kon­struk­ti­on des Chris­ty-Sat­tels, als „ana­to­misch und hygie­nisch“ bewor­ben, soll­te das „alte unhy­gie­ni­sche und schäd­li­che Sys­tem“ ablösen.

Das Poster wirbt für „Rambler Cycles“ und zeigt eine elegante Frau in einem stilvollen Kleid mit Blumen im Haar, die einen Lorbeerzweig hält. Ihr Arm ruht auf einem Fahrradlenker.

Ram­bler Cycles
Litho­gra­fie, 1901
Imp. Chaix, Paris
Joan Car­do­na Lla­dós (1877–1958)

Erst auf den zwei­ten Blick lässt das Pla­kat­mo­tiv erken­nen, wel­ches Pro­dukt hier bewor­ben wird: Nur der Len­ker des Fahr­rads ist am unte­ren Bild­rand sicht­bar. Im Fokus steht viel­mehr die weib­li­che Wer­be­fi­gur, die einen Lor­beer­zweig als Sie­ges­zei­chen prä­sen­tiert. Ganz im Zei­chen des Art Nou­veau, der fran­zö­si­schen Aus­prä­gung des Jugend­stils, trägt sie üppi­gen Blu­men­schmuck im hoch­ge­steck­ten Haar und ein locker dra­pier­tes Gewand mit kunst­vol­len Orna­men­ten. Bei nähe­rer Betrach­tung geben sich die Rund­for­men auf ihrer Sto­la als klei­ne Spei­chen­rä­der zu erken­nen. Die Wer­be­bot­schaft scheint so in deko­ra­ti­ver Sti­li­sie­rung ver­schlüs­selt – eine damals gän­gi­ge Stra­te­gie, um die Ein­präg­sam­keit zu stei­gern: Ein­mal ent­rät­selt, soll­te der Inhalt umso stär­ker im Gedächt­nis blei­ben.
Der gebür­ti­ge Spa­ni­er Joan Car­do­na Lla­dós leb­te von 1900 bis 1914 in Paris, wo er sich als Illus­tra­tor einen Namen machte.

Cycles Rudge
Litho­gra­fie, 1897
Caby & Char­din, Paris
Jac­ques Debut

Als gera­de­zu über­ir­di­sche Erschei­nung insze­niert Jaq­cues Debut die Prä­sen­ta­ti­on des Rudge-Fahr­rads: Auf einer Wald­lich­tung steht eine von hel­lem Licht umstrahl­te weib­li­che Figur. Lan­ge blon­de Locken umspie­len die Gestalt, ihr Gewand mutet in sei­nem locker dra­pier­ten Fal­ten­wurf anti­kisch an und betont zugleich mit Gold­ap­pli­ka­tio­nen ihre weib­li­chen Rei­ze. Mit ver­träumt gesenk­tem Blick hebt sie – offen­bar mühe­los – das bewor­be­ne Fahr­rad. Im Vor­der­grund hat sich ein Mann im Gebüsch ver­bor­gen und bestaunt das Gesche­hen. Mit karier­tem Sak­ko, Müt­ze und Hand­schu­hen ist er bereits für einen Fahr­rad­aus­flug geklei­det. Durch die zeit­ge­nös­si­sche Figur erscheint die damals so belieb­te Ver­klä­rung der an sich bana­len Wer­be­bot­schaft iro­nisch gebrochen.

Ein Plakat für "Cycles Rudge" zeigt eine elegante Frau in einem fließenden Kleid, die ein Fahrrad hält. Im Hintergrund ein Wald mit mystischer Atmosphäre. Unten links beobachtet ein versteckter Mann die Szene. Unten rechts Werbung für Lucien Charmet, Paris.
Ein Plakat von Acatène Métropole zeigt eine Frau in einem Kimono mit einem Fächer neben einem Fahrrad, vor einer malerischen Landschaft mit Hügeln, Bäumen und einer Brücke.

Aca­tène Métro­po­le
Litho­gra­fie, cir­ca 1898
Affi­ches Kos­suth, Paris
Charles Tichon (1865–1924)

Als Japan in den 1850er Jah­ren auf Druck west­li­cher Kolo­ni­al­mäch­te sei­ne jahr­hun­der­te­lan­ge Iso­la­ti­on auf­gab, lös­te die Begeg­nung mit der fern­öst­li­chen Kul­tur in Euro­pa eine Wel­le der Begeis­te­rung aus. Vie­le Plakatkünstler:innen ori­en­tier­ten sich gestal­te­risch an japa­ni­schen Farb­holz­schnit­ten. Charles Tichons Wer­be­fi­gur mit Kimo­no und Fächer steht ganz im Zei­chen des Japo­nis­mus. Der­ar­ti­ge Wer­be­mo­ti­ve waren eher sel­ten: Bei allem Reiz des Exo­ti­schen boten die Figu­ren für euro­päi­sche Käufer:innen kaum Iden­ti­fi­ka­ti­ons­po­ten­ti­al. Als „Aca­tène“ bezeich­ne­te man in Frank­reich die ket­ten­lo­se Kraft­über­tra­gung, die in den 1890erJahren popu­lär wur­de. Métro­po­le war der ers­te Groß­se­ri­en­her­stel­ler sol­cher Fahrräder.

Pneu­ma­ti­ques A. Soly
Litho­gra­fie, cir­ca 1900
Imp. Camis, Paris
Pierre Bon­naud (1865–1930)

Für Luft­rei­fen der Mar­ke A. Soly wirbt Pierre Bon­naud mit einer kecken Rad­le­rin in flot­ter Fahrt. Die Geschwin­dig­keit lässt die Spei­chen der Räder ver­schwim­men und ihren lan­gen Rock hoch­rut­schen, sodass die dunk­len Strümp­fe und die nack­ten Knie sicht­bar wer­den – ein über­aus pikan­tes Detail, ver­hüll­te die dama­li­ge Mode doch das weib­li­che Bein übli­cher­wei­se gänz­lich, sodass schon ein ent­blöß­ter Knö­chel als höchst ero­ti­scher Anblick galt.
Das hel­le, modi­sche Kleid mit schma­ler Tail­le und volu­mi­nö­sen Ham­mel­keu­len­är­meln sticht vor dem bunt­fle­cki­gen Hin­ter­grund deut­lich her­aus. Die Kra­wat­te, hier in auf­fäl­li­gem Rot, war damals ein typi­sches Acces­soire für Radfahrerinnen.

Ein dynamisches Plakat für "Pneumatiques A. Soly" zeigt eine stilvolle Frau in einem weißen Kleid auf einem Fahrrad. Der Hintergrund hebt eine leuchtend gelbe Sonne und rote Akzente hervor.
Ein elegantes Plakat für "L'Aiglon Cycles et Automobiles" zeigt eine Frau in einem weißen Kleid neben einem Fahrrad. Im Hintergrund ist eine malerische Landschaft mit Brücke und Fluss zu sehen.

L‘Aiglon Cycles Auto­mo­bi­les
Litho­gra­fie, cir­ca 1900
Imp. Grif­fon Elleau­me, Paris
Mihail Simo­ni­di (1870–1933)

Dass sich Mihail Simo­ni­dis mäd­chen­haf­te Wer­be­fi­gur für L’Ai­glon selbst in den Sat­tel schwingt, ist kaum denk­bar: Lieb­lich lächelnd blickt sie aus dem Bild. Ihr locker fal­len­des Gewand erin­nert ent­fernt an die Anti­ke, Blü­ten schmü­cken das lan­ge, offe­ne Haar. Das bewor­be­ne Fahr­rad wird von der Dar­ge­stell­ten fast gänz­lich ver­deckt. Im Kon­trast zu der ent­rück­ten Erschei­nung steht die prä­zi­se Wie­der­ga­be der Sei­ne-Land­schaft bei Argen­teuil mit­samt dem Werk des Her­stel­lers – pro­mi­nent ragt rechts der Fabrik­schlot in den Him­mel.
Im Hin­ter­grund ist die Sil­hou­et­te des nahe­ge­le­ge­nen Paris sicht­bar. Mihail Simo­ni­di war gebür­ti­ger Rumä­ne mit grie­chi­schen Wur­zeln. In Paris war er als Pla­kat­künst­ler erfolg­reich, kehr­te jedoch auch immer wie­der für Deko­ra­ti­ons­auf­trä­ge in sein Hei­mat­land zurück.

Das Plakat zeigt eine stilisierte Frau mit wehenden Haaren und Gewändern, die auf einem Fahrrad fährt. Der Hintergrund ist dynamisch mit Blitz-ähnlichen Formen gestaltet. Text: „Cycles Ouragan, St. Etienne“.

Cycles Oura­gan
Litho­gra­fie, cir­ca 1900
Imp. Kos­suth & Cie., Paris
Anonym

Rasant radelt die Wer­be­fi­gur für Cycles Oura­gan den Betrachter:innen ent­ge­gen. Ihr offe­nes Haar und das Kleid flat­tern im Fahrt­wind; die Spei­chen der Räder ver­schwim­men. Ein sti­li­sier­ter gel­ber Blitz durch­zieht den nicht näher defi­nier­ten Hin­ter­grund und unter­streicht noch den Ein­druck von Dyna­mik. Die aus­ge­fal­le­ne Auf­ma­chung der Dar­ge­stell­ten lässt eher an eine Büh­nen­künst­le­rin als an eine Rad­fah­re­rin im All­tag den­ken: Ihr Kleid ist tief dekol­le­tiert, locker dra­pier­te Stoff­bah­nen in zar­tem Blau umspie­len die Figur. Lan­ge schwar­ze Hand­schu­he und eben­so schwar­ze Strümp­fe set­zen pikan­te Akzente.

Ein farbenfrohes Plakat für "Peerless Cycles" zeigt eine elegant gekleidete Frau in einem schwarzen Outfit mit weißem Hut, die auf einem Fahrrad sitzt. Der gelbe Hintergrund hebt die Szene hervor.

Peer­less Cycles
Litho­gra­fie, cir­ca 1892
Affi­ches Lou­is Gali­ce & Cie., Paris
Lou­is Gali­ce (1864–1935)

Lou­is Gali­ce war bekannt für sei­ne Schausteller:innen- und Zir­kus­pla­ka­te. Auch das Peer­less-Fahr­rad bewarb er mit einer Akro­ba­tin und setz­te dabei ganz auf sinn­li­che Ver­rucht­heit: Das kör­per­be­ton­te Kos­tüm, bestehend aus einem Kor­sett mit Rüschen­be­satz, schwar­zen Strümp­fen und einem hel­len Strumpf­band, wirkt für die Zeit äußerst gewagt, ja auf­rei­zend. Die unkon­ven­tio­nel­le Erschei­nung wird noch durch die Ziga­ret­te in der Hand der Dar­ge­stell­ten unter­stri­chen – galt Rau­chen für Frau­en um 1900 doch noch als unschick­lich. Kunst­stü­cke auf Rädern zogen damals auf Jahr­märk­ten, in Varie­tés oder Zir­kus­sen ein begeis­ter­tes Publi­kum an.

Ein Plakat für "American Crescent Cycles" zeigt eine stilvolle Frau in einem eleganten orangefarbenen Kleid mit einem Fahrrad vor einem Halbmond und der amerikanischen Flagge.

Amé­ri­can Cre­s­cent Cycles
Litho­gra­fie, cir­ca 1900
Imp. Schnei­der & Bouil­let, Paris
Mis­ti (Fer­di­nand Mifliez, 1865–1923)

Selbst­be­wusst lächelnd koket­tiert Mis­tis Wer­be­da­me für Ame­ri­can Cre­s­cent Cycles mit den Betrachter:innen. Sie erscheint als Inbe­griff modi­scher Stil­si­cher­heit, trägt Rüschen­blu­se, eine eng tail­lier­te oran­ge­ro­te Jacke mit volu­mi­nö­sen Ham­mel­keu­len­är­meln und farb­lich pas­sen­dem Rock sowie einen Stroh­hut mit schwar­zem Feder­schmuck und gepunk­te­tem Schlei­er. Locker stützt sich die Dar­ge­stell­te auf das bewor­be­ne Rad, das, vom Bild­rand über­schnit­ten, zum blo­ßen Acces­soire redu­ziert erscheint. Ein gro­ßer, sti­li­sier­ter Halb­mond hin­ter der Figur sowie die US-ame­ri­ka­ni­sche Flag­ge rechts oben ver­wei­sen auf den Markennamen.

Ein Plakat für "Cycles Cottereau" zeigt ein junges Mädchen, das ein Fahrrad hält, vor einer Wand mit kindlichen Zeichnungen von Fahrrädern und Tieren. Oben steht groß "Cycles Cottereau" mit dem Hinweis auf Dijon.

Cycles Cot­te­reau
Litho­gra­fie, cir­ca 1912
Imp. Ch. Wall & Cie., Paris
T. Lafo­ret

Ein klei­nes Mäd­chen in Man­tel und Müt­ze schiebt sein Fahr­rad und betrach­tet schlich­te Kin­der­zeich­nun­gen auf einer Wand: Passant:innen, Radfahrer:innen und Hun­de erschei­nen als locker hin­ge­wor­fe­ne Strich­männ­chen. Das Pla­kat für Cycles Cot­te­reau ver­mit­telt so kind­li­che Unbe­fan­gen­heit und Lie­bens­wür­dig­keit. Als eher sel­te­nes Motiv in der Fahr­rad­wer­bung um 1900 ver­sprach das Bild des Mäd­chens beson­de­re Auf­merk­sam­keit. Zugleich mag es die ein­fa­che Hand­hab­bar­keit der bewor­be­nen Räder unter­strei­chen – ein wich­ti­ges Ver­kaufs­ar­gu­ment der dama­li­gen Zeit. Kin­der­fahr­rä­der blie­ben bis in die 1920er Jah­re jedoch eine äußerst sel­te­ne Erscheinung.


Digi­ta­le Bear­bei­tung & Kata­lo­gi­sie­rung: Mar­tin Bren­nigk
Restau­rie­rung: Anna Ste­fa­nia Schulz

Tobi­as Baldus

Tobias Baldus ist Co-Kurator der Ausstellung „Freiheit auf zwei Rädern – Das Fahrrad auf französischen Plakaten um 1900“. Er ist bei einem Berliner Auktionshaus tätig und schreibt nebenbei für verschiedene Publikationen, insbesondere zu reklame- und verkehrsgeschichtlichen Themen.

Bernd Lüke

Bernd Lüke leitet den Sammlungsbereich Kommunikation und Medien im Deutschen Technikmuseum.

Bar­ba­ra Martin

Barbara Martin studierte Kunstgeschichte und Angewandte Kulturwissenschaft in Karlsruhe sowie Kuratorisches Wissen und Kunstpublizistik in Bochum. Sie promovierte 2014 zum Frauenbild im französischen Plakat des Fin de siècle. Nach einem Volontariat am Landesmuseum Hannover war Barbara Martin dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Weitere berufliche Stationen als Kuratorin umfassten die Galerie Stihl Waiblingen, die Städtischen Museen Heilbronn sowie das Kunstmuseum Bonn.